Reise nach Genf
ich gelassen. »Dann gibt es noch den Geschäftsführer des Vereins, der gleichzeitig eine Firma hat. Die Firma treibt Waffenhandel. Mit Waffenhändlern konnte Watermann es prima. Damit nicht genug, gibt es noch einen Mann namens Manfred Gerber. Das ist derselbe, den Sie als Dr. Lang kennen, der Ihnen im ›Le Richemond‹ genau erklärt hat, wie man mit dem Computer umgehen muß, wenn man der Nachwelt ein paar entscheidende Fakten vorenthalten will.«
Ich stopfte mir eine Pfeife. Es war die Prato von Lorenzo, eine Pfeife für den gemütlichen Nachmittag. »Es kann natürlich sein, daß Sie zum Beispiel keine Ahnung haben, wer denn der Verein ›Preußens Geschichte‹ ist, aber so ganz glaube ich das nicht. Denn die Leute waren hin und wieder bei Ihnen im Hotel zu Gast, nicht wahr? Mit anderen Worten: Wir haben noch einen Haufen Asse im Ärmel. Sie sind nur eines unserer Asse. Wir bieten Ihnen kein Geld, und Sie sollten uns kein Geld bieten. Wir nehmen es nicht, wir lösen den Fall.«
»Aber was soll ich Ihnen erzählen?«
»Alles, schlichtweg alles. Ich weiß, Sie haben Angst um Ihr Geld.«
Er wedelte sehr heftig mit den Armen. »O nein, um das Geld sorge ich mich nicht. Erstens ist es notariell zu gleichen Teilen meinen Eltern und meiner Frau übertragen. Es gehört mir nicht mehr. Zweitens gab es nie eine Quittung, drittens waren es gebrauchte Scheine. Nein, nein, das Geld ist es nicht, es ist …«
»Ihr Leben«, sagte Minna scharf. »Sie haben recht! Es geht um Ihr Leben.«
Er sah sie an, nickte dann heftig, stand auf und ging ein paar Schritte abseits an einen steil abfallenden Hang. Dort stand das Gras sehr hoch und sehr dicht. Er hockte sich hin und starrte in das Tal.
Ich wollte zu ihm gehen, aber Minna sagte schnell: »Laß ihn. Er muß eine Entscheidung treffen. Er hat es schwer, Baumeister. Er hat die Kinder, die Frau, die Eltern …«
»… und das Geld.«
Es dauerte fünf Minuten, zehn, fünfzehn Minuten, er hockte da, vollkommen bewegungslos. Dann fragte er über die Schulter:
»Was ist, wenn ich es Ihnen erzähle? Dann kann ich einpacken. Das kann keiner hinnehmen. Den Mörder kenne ich nicht.«
»Wieviel kommen denn in Frage?« fragte ich.
»Na ja, außer Gerber mindestens zwei.«
»Dann müssen Sie erst recht reden«, sagte ich.
»Weshalb?« fragte er. »Watermanns wegen?«
»Es geht doch eigentlich nicht um Watermann, es geht um die, die es inszenierten.«
»Aber die kenne ich nicht. Ich kenne nur einen winzigen Teil des Geschehens.« Er brüllte fast, er war wütend.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie erzählen uns, was ablief, und wir entscheiden nach Schluß der Recherche, was wir daraus machen. In Ordnung?«
Er antwortete nicht, er zuckte nicht einmal mit dem Kopf, er hockte nur da in der Sonne und starrte in die Wälder.
»Hören Sie, Gaetano, wir müssen weiter«, drängte ich. »Wir haben keine Zeit.«
»Na schön. Habe ich Ihr Wort?«
»Sie haben es. Keine Veröffentlichung, bevor nicht die gesamte Recherche steht, und auch nicht, bevor Sie alles gelesen haben.«
»Vermutlich fing alles am neunten Oktober an, oder?« fragte Minna ganz harmlos.
»Was war der Neunte denn für ein Tag?«
»Der Neunte war ein Freitag, und Watermann war auf Gran Canaria«, sagte Minna. Sie hatte ihre Lektion gut gelernt.
»Es fing schon am Donnerstag an«, sagte er. »Also am achten Oktober. Die ganze Geschichte hat eine Menge damit zu tun, daß ich kein Schweizer bin, sondern mehr ein Deutscher. Das ist meine Heimat.«
»Ihr seid viel zu schnell«, griff ich ein. »Es fing nicht am achten Oktober an. Es fängt damit an, daß die Mafia Ihnen falsche Papiere besorgte, nicht wahr?«
»Gut, wenn Sie so wollen. Ich ging also nach Genf und lebte bei Lilo. Gute Frau, die Frau, und mir ging es nicht schlecht. Ich wartete auf meine Chance, auf irgendeine Chance. Aber nichts kam. Der Job war gut, die Bezahlung auch. Also, es fing damit an, daß ich mich für den Fall Watermann interessierte, weil ich aus Deutschland bin. Dann hörte ich am achten Oktober, das muß also der Donnerstag gewesen sein, daß jemand für den Watermann buchte …«
»Moment, ich dachte, Sie hatten Nachtdienst?« fragte ich nach.
»Nein«, sagte er. »Wir machten Wechselschicht, aber ein paar von uns arbeiteten als Springer. Das heißt, sie arbeiteten nach Bedarf, wie der Betrieb es jeweils brauchte. Das waren immer die, die nicht verheiratet waren, also ich zum Beispiel. Es konnte sein, daß ich den
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