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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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diesen Schrei. Diesmal erschien er wie der Schrei eines über den Hügel hinfliegenden Vogels.
    Don Juan hieß mich weiterklopfen, und in dem Augenblick, da ich aufhörte, vernahm ich links von mir ein eigenartiges Rascheln. Es war ein Geräusch, wie ein schweres Tier es verursacht, wenn es durch das trockene Unterholz läuft. Mir kam der Gedanke, es könne ein Bär sein, aber dann wurde mir klar, daß es in der Wüste keine Bären gab. Ich packte Don Juans Arm, aber er lächelte mir zu und legte den Finger an den Mund. Ich starrte nach links in die Dunkelheit hinaus, aber er gab mir ein Zeichen, dies nicht zu tun. Wiederholt deutete er direkt über mir in die Luft, und dann veranlaßte er mich, mich langsam und leise umzudrehen, bis die dunkle Masse des Hügels vor mir lag. Don Juan richtete den Finger auf einen bestimmten Punkt auf dem Hügel. Ich heftete meine Augen an diese Stelle, und plötzlich, wie in einem Alptraum, sprang mich ein dunkler Schatten an. Ich schrie auf und fiel auf den Rücken. Einen Augenblick verdeckte die dunkle Silhouette den dunkelblauen Himmel, dann segelte er durch die Luft und landete hinter uns im Gebüsch. Ich hörte ein Geräusch, als fiele ein schwerer Körper in die Büsche, und dann einen unheimlichen Schrei. Don Juan half mir auf die Beine und führte mich in der Dunkelheit an die Stelle, wo ich meine Fallen aufgestellt hatte. Er hieß mich, sie zusammenzusuchen und auseinanderzunehmen, daraufhin verstreute er die Teile in alle Richtungen. All dies führte er aus, ohne ein Wort zu sagen. Auf dem ganzen Weg zurück zu seinem Haus sprachen wir kein einziges Wort.
    »Was soll ich dir sagen«, fragte Don Juan, nachdem ich ihn wiederholt bedrängt hatte, mir die Ereignisse zu erklären, die ich vor ein paar Stunden erlebt hatte. »Was war das?« fragte ich.
    »Du weißt verdammt gut, wer es war«, sagte er. »Verharmlose es jetzt nicht mit deinem „Was war das?" Wer es war, darauf kommt es an.«
    Ich hatte mir eine Erklärung zurechtgelegt, die mir befriedigend erschien. Die Gestalt, die ich gesehen hatte, sah ganz wie ein Papierdrachen aus, den jemand auf dem Hügel hatte steigen lassen, während ein anderer hinter uns ihn an der Schnur zu sich zog, so daß der Eindruck einer dunklen, etwa fünfzehn bis zwanzig Meter durch die  Luft fliegenden Silhouette entstand. Er hörte meiner Erklärung aufmerksam zu, und dann lachte er, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen.
    »Hör auf im Trüben zu fischen«,sagte er. »Komm zur Sache. War es nicht eine Frau?«
    Ich mußte einräumen, daß ich, als ich hingefallen war und nach oben blickte, den dunklen Umriß einer mit langem Rock bekleideten Frau gesehen hatte, die mich in einer sehr langsamen Bewegung ansprang, dann war mir, als zöge jemand die dunkle Silhouette fort, sie glitt sehr schnell über mich hinweg und landete krachend im Gebüsch. Gerade diese Bewegung war es gewesen, die mich an einen Drachen erinnert hatte.
    Don Juan weigerte sich, weiter über den Vorfall zu sprechen. Am nächsten Tag brach er auf, um irgendeine geheimnisvolle Besorgung zu machen, und ich ging ein paar befreundete Yaqui-Indianer in einem anderen Dorf besuchen.
Mittwoch, 12. Dezember 1962
    Kaum war ich in dem Yaqui-Dorf angekommen, erzählte mir der Inhaber des Dorfladens, er habe von einem Händler in Ciudad Obregon einen Plattenspieler und zwanzig Schallplatten für die Fiesta ausgeliehen, die er am Abend zu Ehren der Jungfrau von Guadalupe geben wolle. Er hatte bereits jedem erzählt, daß er mit den notwendigen Vorbereitungen Julio beauftragt hatte, den Handelsvertreter, der zweimal im Monat in die Yaqui-Siedlung kam, um die Ratenzahlungen für irgendwelche billigen Kleidungsstücke einzutreiben, die er an ein paar Yaquis hatte verkaufen können. Am frühen Nachmittag brachte Julio den Plattenspieler und schloß ihn an den Generator an, der die Elektrizität für den Laden lieferte. Er überzeugte sich, daß er funktionierte. Dann schaltete er ihn auf maximale Lautstärke ein, ermahnte den Ladeninhaber, keinen der Knöpfe zu berühren, und begann, die Schallplatten zu sortieren. »Ich weiß genau, wie viele Kratzer jede von ihnen hat«, sagte Julio zum Ladeninhaber.
    »Erzähl das meiner Tochter«, antwortete der Ladeninhaber. »Du bist verantwortlich, nicht deine Tochter.«
»Das kommt aufs gleiche hinaus, sie ist es, die die Platten auflegen wird.«
    Julio bestand darauf, daß es ihm gleichgültig sei, ob er oder sie oder sonst jemand den

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