Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
seiner Veranda herumrollte, und so sei ich im Stande gewesen, die beiden Stellen und ihre Farben zu entdecken. Er gab mir zu verstehen, daß er von meiner Leistung beeindruckt war.
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich tat«, sagte ich. »Du hast geschielt«, sagte er nachdrücklich. »Das ist die Technik; du mußt es wohl getan haben, auch wenn du dich nicht daran erinnerst.«
    Dann beschrieb Don Juan diese Technik, deren Vervollkommnung, wie er sagte, Jahre erfordert, und die darin bestand, die Augen allmählich zu zwingen, dasselbe Bild zweimal zu sehen. Die fehlende Fusion der Bilder habe eine doppelte Wahrnehmung der Welt zur Folge, und diese doppelte Wahrnehmung, sagte Don Juan, gebe einem die Möglichkeit, Veränderungen der Umwelt zu beurteilen, die das Auge normalerweise nicht wahrnehmen könne.
    Don Juan drängte mich, es zu versuchen. Er sagte, es sei nicht schädlich für die Augen. Ich solle es mit kurzen Blicken versuchen und dabei fast aus den  Augenwinkeln schauen. Er wies auf einen großen Busch und machte es mir vor. Ich hatte ein seltsames Gefühl, als ich sah, wie Don Juans Augen unglaublich schnelle Blicke auf den Busch warfen. Seine Augen erinnerten mich an die eines sprunghaften Tieres, das nicht geradeaus schauen kann. Wir wanderten etwa eine Stunde, und derweil versuchte ich es zu vermeiden, meinen Blick auf irgend etwas zu fixieren. Dann forderte Don Juan mich auf, die Bilder zu unterscheiden, die ich mit jedem meiner Augen aufnahm. Nach einer weiteren Stunde bekam ich furchtbare Kopfschmerzen und mußte aufhören. »Meinst du, daß du es schaffst, die richtige Stelle allein zu finden, an der wir uns zur Rast setzen können?« fragte er. Ich hatte keine Ahnung, wodurch eine „richtige Stelle" sich auszeichnete. Geduldig erklärte er, wenn man nur kurze Blicke werfe, sei es dem Auge möglich, ungewöhnliche Bilder aufzunehmen. »Wie etwa, was?« fragte ich.
    »Es sind keine wirklichen Bilder«, sagte er. »Es sind eher Gefühle. Wenn du einen Busch oder Baum oder Felsen ansiehst, wo du vielleicht rasten möchtest, können deine Augen dich fühlen lassen, ob dies der beste Rastplatz ist oder nicht.« Wieder bat ich ihn, mir zu erklären, was diese Gefühle seien, aber entweder konnte er sie nicht beschreiben, oder er wollte es nicht. Er meinte, ich solle es ausprobieren, indem ich eine Stelle ausfindig mache, und dann würde er mir sagen, ob meine Augen funktionierten oder nicht.
    Für einen kurzen Moment erfaßte mein Blick etwas, das wie ein in der Sonne glitzernder Kieselstein aussah. Ich konnte ihn nicht sehen, wenn ich meine Augen direkt auf ihn richtete, aber wenn mein Blick kurz über die Gegend schnellte, dann konnte ich eine Art schwaches Funkeln ausmachen. Ich zeigte Don Juan die Stelle. Sie lag in der Mitte einer offenen, unbeschatteten Fläche, auf der keinerlei Büsche standen. Er lachte schallend und fragte, warum ich gerade diese Stelle ausgewählt habe. Ich erklärte, ich hätte dort ein Funkeln gesehen.
    » Es ist mir egal, was du siehst«, sagte er. »Du hättest einen Elefanten sehen können. Was du spürst, allein darauf kommt es an.« Ich spürte überhaupt nichts. Er sah mich geheimnisvoll an und sagte, er täte mir gern den Gefallen, an dieser Stelle mit mir zu rasten, aber ich solle den Platz meiner Wahl lieber erst ausprobieren, während er sich woanders hinsetzte.
    Ich setzte mich hin, und er sah mich aus zehn bis fünfzehn Metern Entfernung neugierig an. Nach einigen Minuten begann er laut zu lachen. Irgendwie machte mich sein Lachen nervös. Es machte mich kribbelig. Ich glaubte, er mache sich über mich lustig und wurde wütend. Ich bekam Zweifel an den Motiven für mein Hiersein. An der ganzen Art, wie meine Bemühungen mit Don Juan sich entwickelten, war eindeutig etwas falsch. Ich hatte das Gefühl, nur eine Schachfigur in seiner Hand zu sein. Plötzlich rannte Don Juan auf mich zu, packte mich am Arm und zerrte mich liegend drei oder vier Meter weiter. Er half mir auf die Beine und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nun bemerkte ich, daß er sich bis an die Grenze seiner Kraft verausgabt hatte. Er klopfte mir den Rücken und sagte, ich hätte den falschen Platz ausgewählt, und er habe mich eiligst in Sicherheit bringen müssen, weil er sah, daß die Stelle, an der ich saß, im Begriff stand, völlig von meinen Gefühlen Besitz zu ergreifen. Ich lachte. Das Bild, wie Don Juan auf mich zugerannt kam, war sehr komisch gewesen. Er war wirklich wie ein

Weitere Kostenlose Bücher