Reise nach Ixtlan.
wahr?«
So etwas hatte ich ihm wohl gesagt, um den Bereich der Anthropologie zu umschreiben und um ihn als Informanten zu gewinnen. Don Juan kicherte, offenbar war ihm bewußt, daß er die Situation beherrschte.
»Ich bin ein Jäger«, sagte er, als könnte er meine Gedanken lesen. »Ich überlasse sehr wenig dem Zufall. Vielleicht sollte ich dir verraten, daß ich erst lernen mußte, ein Jäger zu sein. Ich habe nicht immer so gelebt, wie ich heute lebe. Es gab einen Punkt in meinem Leben, an dem ich mich ändern mußte. Jetzt zeige ich dir die Richtung. Ich führe dch. Ich weiß, wovon ich spreche; ich habe all das von einem anderen gelernt. Ich habe es nicht von selbst herausgefunden.«
»Willst du damit sagen, daß du einen Lehrer hattest, Don Juan?«
» Sagen wir einmal, jemand lehrte mich das Jagen, so wie ich es dich jetzt lehren werde«, sagte er und wechselte schnell das Thema. »Ich glaube, einst war die Jagd eine der größten Taten, die ein Mann vollbringen konnte«, sagte er. »Alle Jäger waren mächtige Männer. Ja, ein Jäger mußte sogar von vornherein stark sein, um den Härten dieses Lebens zu widerstehen.« Plötzlich wurde ich neugierig. Bezog er sich auf eine Zeit, die vielleicht vor der Eroberung Amerikas lag? Ich begann ihn auszufragen.
»Wann war diese Zeit?«
»Einstmals.«
»Wann, was heißt „einstmals"?«
»Es heißt einstmals, oder vielleicht heißt es auch jetzt, heute. Das ist gleichgültig. Einst wußte jeder, daß der Jäger der beste unter den Männern war. Heute weiß dies nicht jedermann, aber es gibt genügend Menschen, die es wissen. Ich weiß es, und eines Tages wirst du es wissen. Siehst du, was ich meine?«
»Denken die Yaqui-Indianer so über die Jäger? Das möchte ich gern wissen.«
»Nicht unbedingt.«
»Und die Pima-Indianer?«
»Nicht alle. Aber einige.« Ich zählte verschiedene benachbarte Volksgruppen auf. Ich wollte ihn darauf festlegen, daß das Jagen allgemeiner Glaube und Brauch bestimmter Stämme sei. Aber er vermied, mir direkt zu antworten, und so wechselte ich das Thema. »Warum tust du dies alles für mich, Don Juan?« fragte ich. Er nahm den Hut ab und kratzte sich in gespielter Verlegenheit an der Schläfe. »Ich habe ein Zeichen mit dir«, sagte er sanft. »Andere Menschen hatten ein ähnliches Zeichen mit dir. Eines Tages wirst du das gleiche Zeichen mit anderen haben. Sagen wir, diesmal bin ich an der Reihe. Eines Tages stellte ich fest, wenn ich ein Jäger sein wollte, der Selbstachtung haben darf, müßte ich meine Lebensweise ändern. Ich habe früher reichlich gejammert und geplagt. Ich hatte gute Gründe, mich benachteiligt zu fühlen. Ich bin ein Indianer, und Indianer werden wie Hunde behandelt. Es gab nichts, was ich dagegen hätte tun können, und so blieb mir nichts außer meinem Kummer. Aber dann nahm sich das Glück meiner an, und jemand lehrte mich das Jagen. Und ich erkannte, daß die Art, wie ich gelebt hatte, nicht lebenswert war. also änderte ich sie.«
»Aber ich bin zufrieden mit meinem Leben, Don Juan, warum sollte ich es ändern?« Er begann ganz leise ein mexikanisches Lied zu singen, und dann summte er die Weise. Sein Kopf wiegte sich im Rhythmus des Liedes auf und ab. »Glaubst du, daß wir, du und ich, gleich sind?« fragte er schroff. Seine Frage überraschte mich. Ich spürte ein eigenartiges Summen in den Ohren, als hätte er die Worte laut geschrien, was aber nicht der Fall war; aber in seiner Stimme war ein metallischer Klang gewesen, der in meinen Ohren nachhallte. Ich kratzte mich mit dem kleinen Finger der linken Hand im Ohr. Meine Ohren juckten ständig, und ich hatte die Gewohnheit angenommen, mich nervös und rhythmisch mit dem kleinen Finger in den Ohren zu kratzen. Genauer gesagt, bestand die Bewegung in einem Schütteln des ganzen Armes.
Don Juan beobachtete meine Bewegung mit offensichtlicher Spannung. »Nun... sind wir gleichgestellt?« fragte er. »Natürlich sind wir gleichgestellt«, sagte ich. Selbstverständlich ließ ich mich etwas herab. Ich hatte ihm gegenüber sehr herzliche Gefühle, obwohl ich manchmal nicht wußte, was ich mit ihm anfangen sollte; dennoch war ich im Grunde, auch wenn ich es nie ausgesprochen hätte, davon überzeugt, daß ich, ein Wissenschaftler, ein Mann der intellektuellen westlichen Welt, einem Indianer überlegen war. »Nein«, sagte er ruhig, »wir sind es nicht.«
»Wieso nicht? Natürlich sind wir das!« protestierte ich. »Nein«, sagte er mit sanfter Stimme.
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