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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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herabsank. Es verging etwa eine halbe Stunde. Nun wurde es dunkel. Der Nebel rückte sehr langsam vorwärts. Irgendwann hatte ich plötzlich das Gefühl, rechts von mir ein schwaches Leuchten wahrzunehmen. Zuerst dachte ich, ich hätte einen Flecken grünen Buschwerks durch den Nebel schimmern sehen. Wenn ich direkt hinschaute, bemerkte ich nichts, aber wenn ich indirekt hinsah, dann konnte ich vage eine grünliche Stelle erkennen.
    Ich machte Don Juan darauf aufmerksam. Er kniff die Augen zusammen und starrte hin.
    »Konzentriere deinen Blick auf diese Stelle«, flüsterte er mir ins Ohr. »Schau auf diese Stelle, bis du siehst.« Ich wollte ihn fragen, was ich sehen sollte, aber er sah mich bedeutungsvoll an, wie um mich daran zu erinnern, daß ich nicht sprechen sollte.
    Ich starrte wieder hin. Ein von oben herabgesunkener Nebelstreifen hing dort wie ein Stück fester Materie. Er befand sich genau dort, wo ich die grüne Tönung bemerkt hatte. Als meine Augen wieder ermüdeten, und ich blinzeln mußte, sah ich zuerst, daß dieser Nebelstreif die Nebelbank überlagerte, und dann sah ich dazwischen ein schmales Nebelband, das wie eine schmale, freischwebende Konstruktion aussah, wie eine Brücke, die den Berg über mir mit der Nebelbank vor mir verband. Einen Augenblick meinte ich zu sehen, wie der durchsichtige Nebel, der vom Gipfel des Berges herabgeweht wurde, über die Brücke hinzog, ohne sie aufzulösen. Es war, als sei die Brücke tatsächlich aus solidem Material. Einen Augenblick wurde das Trugbild so vollkommen, daß ich sogar die dunklere Färbung an der Unterseite der Brücke von der hellen Sandsteinfarbe ihrer Seitenwand zu unterscheiden meinte. Verblüfft starrte ich die Brücke an. Entweder erhob ich mich dann auf ihr Niveau, oder die Brücke sank zu mir herab. Plötzlich erblickte ich vor mir einen waagrechten Steg. Es war ein ungemein langer, fester Steg, schmal und ohne Geländer, aber breit genug, um darauf zu gehen. Don Juan schüttelte heftig meinen Arm. Ich spürte, wie mein Kopf auf und ab schwang, und dann bemerkte ich, daß meine Augen furchtbar juckten. Ich rieb sie ganz unbewußt. Don Juan fuhr fort, mich zu schütteln, bis ich wieder die Augen öffnete. Er goß etwas Wasser aus seiner Kalebasse in die hohle Hand und besprengte mein Gesicht. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl. Die Wassertropfen waren so kalt, daß sie sich wie Wunden auf meiner Haut anfühlten.
    Dann stellte ich fest, daß mein Körper sehr heiß war. Ich fieberte.
    Don Juan gab mir eilig etwas Wasser zu trinken und benetzte meine Ohren und  meinen Hals.
    Ich hörte einen sehr lauten, unheimlichen, gedehnten Vogelruf. Don Juan horchte eine Weile angespannt, und dann stieß er mit seinem Fuß gegen die Steine der Mauer und brachte das Dach zum Umstürzen. Er schleuderte das Dach ins Gebüsch und warf die Steine, einen nach dem anderen, in den Abgrund. Er flüsterte mir ins Ohr: »Trink etwas Wasser und kau das Kraft-Fleisch! Wir können nicht hierbleiben. Dieser Schrei - das war kein Vogel.«
    Wir kletterten vom Felssims hinab und begannen nach Osten zu gehen. In kürzester Zeit war es so dunkel, daß mir war, als hinge ein Vorhang vor meinen Augen. Der Nebel war wie eine undurchdringliche Schranke. Mir war nie aufgefallen, wie lähmend der Nebel in der Nacht war. Ich verstand nicht, wie Don Juan laufen konnte. Ich hielt mich an seinem Arm fest, als sei ich blind, irgendwie hatte ich das Gefühl, als liefe ich am Rande eines Abgrunds dahin. Meine Beine weigerten sich, voranzugehen. Mein Verstand vertraute Don Juan, und vernunftmäßig war ich bereit, weiterzugehen, doch mein Körper widersetzte sich, und Don Juan mußte mich in völliger Dunkelheit voranzerren. Er mußte das Terrain in- und auswendig kennen. An einer bestimmten Stelle blieb er stehen und ließ mich niedersitzen. Ich wagte nicht, seinen Arm loszulassen.
    Ich spürte geradezu körperlich und jenseits allen Zweifels, daß ich auf einer zerklüfteten Bergkuppel saß und, wenn ich nur einen Zentimeter nach rechts rückte, einen tiefen Sturz in den Abgrund tun würde. Ich war völlig sicher, daß ich auf einer abschüssigen Bergflanke saß, denn mein Körper rückte unwillkürlich nach rechts. Ich glaubte, er tue dies, um sich in der Vertikalen zu halten, daher versuchte ich, mich zum Ausgleich, so weit ich konnte, nach links gegen Don Juan zu lehnen. Plötzlich rückte Don Juan von mir ab, und ohne diese Stütze seines Körpers fiel ich zu Boden. Der Aufprall

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