Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
beiläufig: »Wie steht es mit den Träumen?« Ich berichtete, wie schwer es mir inzwischen fiel, mir zu befehlen, auf meine Hände zu schauen. Anfangs war es relativ leicht gewesen, vielleicht weil es etwas Neues für mich war. Es war mir nicht schwergefallen, mich daran zu erinnern, daß ich auf meine Hände schauen mußte. Aber der Reiz des Neuen hatte nachgelassen, und in manchen Nächten konnte ich es nun überhaupt nicht mehr.
    »Du mußt zum Schlafen ein Stirnband tragen«, sagte er. »Es ist eine schwierige Sache, sich so ein Stirnband zu beschaffen. Ich kann dir keines geben, denn du mußt es dir selbst aus dem Nichts herstellen. Aber das kannst du nicht, bevor du nicht während des Träumens ein Bild davon gesehen hast. Verstehst du mich? Das Stirnband muß genau nach diesem Bild gemacht werden. Und es muß ein Querband haben, das fest an der Schädeldecke anliegt. Es kann auch wie eine enge Kappe sein. Das Träumen ist leichter, wenn man ein Kraft-Objekt auf dem Kopf trägt. Du könntest auch deinen Hut oder eine Mönchskapuze aufsetzen, wenn du schlafen gehst, aber diese Gegenstände führen nur zu heftigen Träumen, nicht aber zum Träumen.«
    Er schwieg eine Weile, dann erzählte er mir mit einem wahren Wortschwall, daß die Vision des Stirnbandes nicht nur im „Träumen", sondern auch im Wachen sowie als Folge irgendwelcher belangloser und beziehungsloser Vorgänge - etwa beim Beobachten fliegender Vögel, der Bewegung des Wassers, der Wolken usw. -auftreten könne.
    »Ein Jäger der Kraft beobachtet alles«, fuhr er fort, »und alles verrät ihm ein  Geheimnis.«
    »Aber wieso weiß man mit Sicherheit, daß die Dinge Geheimnisse verraten?« fragte ich.
    Ich glaubte, daß er vielleicht eine besondere Formel hatte, die es ihm gestattete, exakte Interpretationen zu geben. »Die einzige Möglichkeit, dies mit Sicherheit zu wissen, besteht darin, alle Anweisungen zu befolgen, die ich dir, seit du zu mir kamst, gegeben habe. Um Kraft zu haben, muß man mit der Kraft leben.« Er lächelte wohlwollend. Seine Wildheit schien von ihm abgefallen. Er tätschelte mir sogar sanft den Arm. »Iß deine Kraft-Speise«, drängte er mich. Ich kaute etwas von dem getrockneten Fleisch, und in diesem Augenblick kam mir plötzlich der Gedanke, daß das Trockenfleisch womöglich eine psychotrope Substanz enthielt - daher die Halluzinationen. Einen Moment war ich beinah erleichtert. Wenn er etwas in das Fleisch getan hatte, dann waren meine Trugbilder völlig verständlich. Ich bat ihn, mir zu sagen, ob in dem „Kraft-Fleisch" etwas dergleichen sei.
    Er lachte, antwortete aber nicht direkt. Ich bestürmte ihn, wobei ich ihm versicherte, daß ich nicht böse oder auch nur verärgert sei, sondern daß ich es wissen müsse, damit ich mir die Ereignisse der vergangenen Nacht zufriedenstellend erklären könne. Ich drang ihn, redete ihm zu und bat ihn schließlich inständig, mir die Wahrheit zu sagen.
    »Du bist wohl übergeschnappt«, sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du hast eine schreckliche Neigung. Du kannst es nicht lassen, alles zufriedenstellend zu erklären. In dem Fleisch ist nichts anderes als Kraft. Sie ist weder durch mich noch durch einen anderen Menschen, sondern durch die Kraft selbst hineingelangt. Es ist das getrocknete Fleisch eines Rehs, und dieses Reh wurde mir in ähnlicher Weise geschenkt wie dir vor nicht allzu langer Zeit ein gewisses Kaninchen. Weder du noch ich taten etwas in das Kaninchen. Ich habe nicht von dir verlangt, das Fleisch des Kaninchens zu trocknen, denn dies hätte mehr Kraft vorausgesetzt, als du hattest. Ich befahl dir aber, das Fleisch zu essen. Aus Dummheit hast du nicht viel davon gegessen.
    Was du gestern erlebtest, war kein Spaß und keine Posse. Du hattest eine Begegnung mit der Kraft. Der Nebel, die Dunkelheit, der Donner, die Blitze und der Regen - das alles waren Teile eines großen Gefechts der Kraft. Du hattest Glück, wie nur ein Narr es haben kann. Ein Krieger hätte alles darum gegeben, einem solchen Gefecht beizuwohnen.«
    Ich wandte ein, daß der ganze Vorgang kein Gefecht der Kraft gewesen sein könne, weil er nicht real gewesen sei. »Und was ist real?« fragte Don Juan mich ganz ruhig. »Das hier, was wir sehen, das ist real«, sagte ich und wies auf die Umgebung. »Aber das war auch die Brücke gestern abend, auch der Wald und alles andere.«
»Aber wenn diese Dinge real waren, wo sind sie denn jetzt?«
»Sie sind hier. Hättest du genug Kraft, dann

Weitere Kostenlose Bücher