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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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könntest du sie zurückrufen. Jetzt kannst du es nicht, weil du es für nützlich hältst, dauernd zu zweifeln und zu nörgeln. Es nützt dir nichts, mein Freund, es nützt nichts. Direkt hier vor uns türmen sich Welten über Welten. Und mit ihnen ist nicht zu spaßen. Hätte ich dich gestern abend nicht am Arm gepackt, dann wärst du über diese Brücke gegangen, ob du es wolltest oder nicht. Und zuvor mußte ich dich vor dem Wind schützen, der nach dir suchte.«
»Was wäre geschehen, wenn du mich nicht geschützt hättest?«
»Da du nicht genug Kraft hast, hätte der Wind dich vom Weg abirren lassen und dich vielleicht durch einen Sturz in eine Schlucht getötet. Aber das eigentlich Wichtige gestern abend war der Nebel. Zwei Dinge hätten dir im Nebel widerfahren können. Du hättest über die Brücke auf die andere Seite gehen können, oder du hättest zu Tode stürzen können. Das wäre jeweils von der Kraft abhängig gewesen. Eines aber war sicher: Hätte ich dich nicht beschützt dann hättest du die Brücke betreten müssen, ganz gleich, was geschehen wäre. Das ist das Wesen der Kraft. Wie ich dir schon sagte, sie befiehlt dir, und trotzdem gehorcht sie dir. Gestern abend zum Beispiel hätte die Kraft dich gezwungen, über die Brücke zu gehen, und dann hätte sie dir gehorcht, indem sie dich beim Hinübergehen gestützt hätte. Ich habe dich zurückgehalten, weil ich weiß, daß es dir nicht möglich ist, die Kraft zu nutzen, und ohne Kraft wäre die Brücke eingestürzt.«
»Hast auch du die Brücke gesehen, Don Juan?«
»Nein, ich sah nur die Kraft. Es hätte alles mögliche sein können. Diesmal war die Kraft für dich eine Brücke. Ich weiß nicht, warum gerade eine Brücke. Wir Menschen sind höchst rätselhafte Wesen. «
    »Hast du je eine Brücke im Nebel gesehen, Don Juan?«
    »Nein, aber das kommt, weil ich nicht so bin wie du. Ich habe anderes gesehen. Meine Gefechte der Kraft waren sehr verschieden von den deinen.«
»Was hast du gesehen, Don Juan, kannst du es mir sagen?«
»Während meines ersten Gefechts der Kraft sah ich im Nebel meine Feinde. Du hast keine Feinde. Du haßt niemanden. Ich aber haßte damals. Ich ließ mich gehen, die Menschen zu hassen. Heute tu ich das nicht mehr. Ich habe meinen Haß überwunden, aber damals hätte mein Haß mich beinah vernichtet. Dein Gefecht der Kraft hingegen war eine klare Sache. Es hat dich nicht vernichtet. Du selbst zerstörst dich jetzt mit deinen überflüssigen Gedanken und Zweifeln. Das ist deine Art, dich gehenzulassen. Der Nebel war bei dir makellos. Du hast eine Affinität zu ihm. Er schenkte dir eine enorme Brücke, und diese Brücke wird von nun an im Nebel sein. Sie wird sich dir immer wieder zeigen, bis du sie eines Tages überqueren mußt. Ich rate dir sehr, von nun an nicht allein durch neblige Gegenden zu gehen, bis du weißt, was du tust.
    Kraft ist eine komische Sache. Um sie zu haben und über sie zu gebieten, muß man zuerst Kraft haben. Es ist jedoch möglich, sie Schritt um Schritt aufzuspeichern, bis man genug davon hat, um in einem Gefecht der Kraft zu bestehen.«
»Was ist ein Gefecht der Kraft?«
    »Was dir gestern abend widerfuhr, war der Anfang eines Gefechts der Kraft. Die Szenen, die du erlebtest, waren der Sitz der Kraft. Eines Tages wirst du sie verstehen; solche Szenen haben eine große Bedeutung.«
    »Kannst du mir ihre Bedeutung nicht verraten, Don Juan?«
»Nein. Diese Szenen sind deine eigene, persönliche Eroberung, die du mit niemanden teilen kannst. Aber was gestern abend geschah, war nur der Anfang, ein Geplänkel. Das wirkliche Gefecht wird stattfinden, wenn du diese Brücke überschreitest.«
»Was ist auf der anderen Seite?«
    »Nur du wirst das wissen. Und nur du wirst wissen, was sich am Ende dieses Weges durch den Wald befindet. Doch all dies kann dir zustoßen - oder auch nicht. Um sich auf diese unbekannten Wege und Brücken zu wagen, muß man genügend eigene Kraft haben.«
    »Was geschieht, wenn man nicht genug Kraft hat?«
»Der Tod wartet immer auf einen, und wenn die Kraft des Kriegers schwindet, dann berührt ihn einfach der Tod. Es ist dumm, sich ohne Kraft ins Unbekannte vorzuwagen. Man würde nur den Tod finden.«
    Ich hatte nicht wirklich zugehört. Ich spielte immer noch mit dem Gedanken, daß das Trockenfleisch ein Mittel enthalten hatte, das die Halluzinationen verursachte. Es beruhigte mich, diesem Gedanken nachzuhängen.
    »Zerbrich dir nicht den Kopf bei dem Versuch, das

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