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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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beendet hatte, blieb er lange Zeit still.
    Er schien tief in Gedanken versunken zu sein. »Es sieht nicht allzu gut aus«, sagte er. »Was gestern nacht mit dir geschah, war sehr ernst, so ernst, daß du dich nicht mehr allein in die Nacht wagen darfst. Von nun an werden die Wesen der Nacht dich nicht mehr in Ruhe lassen.«
»Was ist denn gestern nacht mit mir geschehen, Don Juan?«
»Du bist über eines der Wesen gestolpert, die in der Welt sind und die auf die Menschen einwirken. Du weißt nichts über sie, weil du ihnen nie begegnet bist. Vielleicht wäre es richtiger, sie Wesen der Berge zu nennen; sie gehören nicht eigentlich der Nacht an. Ich nenne sie Wesen der Nacht, weil man sie in der Dunkelheit leichter erkennt. Sie sind immer hier, immer in unserer Nähe. Bei Tage ist es jedoch schwer, sie zu erkennen, einfach weil die Welt uns vertraut ist und weil das Vertraute Vorrang genießt. In der Dunkelheit dagegen ist alles gleich fremd, und nur wenige Dinge genießen Vorrang, daher sind wir in der Nacht empfänglicher für diese Wesen.«
    »Aber sind sie real, Don Juan?«
    »Natürlich. Sie sind so real, daß sie gewöhnliche Menschen töten, besonders solche,  die in der Wildnis umherstreifen und keine persönliche Kraft haben.« 
    »Wenn du wußtest, wie gefährlich sie sind, warum hast du mich dort allein  gelassen?«
    »Es gibt nur einen Weg, um zu lernen, und das ist die Praxis. Über die Kraft nur zu reden, ist sinnlos. Wenn du wissen willst, was Kraft ist, und wenn du sie speichern willst, dann mußt du dich unmittelbar selbst auf alles einlassen.
    Der Weg des Wissens und der Kraft ist sehr schwierig und sehr lang. Vielleicht hast du bemerkt, daß ich dich gestern nacht nicht allein in die Dunkelheit gehen ließ. Du hattest nicht genügend Kraft, um das zu tun. Du hast jetzt genug Kraft, um einen guten Kampf zu bestehen, aber nicht genug, um im Dunkel allein zu bleiben.«
»Was würde geschehen, wenn ich es täte?«
»Du würdest sterben. Die Wesen der Nacht würden dich zertreten wie einen Käfer.«
    »Heißt das, daß ich keine Nacht allein bleiben darf?«
»Du kannst die Nacht in deinem Bett allein verbringen, aber nicht in den Bergen.«
»Und wie ist es mit dem Flachland?«
    »Was ich eben sagte, gilt nur für die Wildnis, wo es keine Menschen gibt, besonders für die Wildnis n den hohen Bergen. Da die natürlichen Wohnsitze der Wesen der Nacht Felsen und Schluchten sind, darfst du von nun an nicht in die Berge gehen, ehe du nicht genug persönliche Kraft gespeichert hast.«
»Aber wie kann ich persönliche Kraft aufspeichern?«
»Das kannst du, indem du so lebst, wie ich es dir empfohlen habe. Nach und nach wirst du all deine undichten Stellen verstopfen. Du brauchst darüber nicht nachzudenken, denn die Kraft findet immer einen Weg. Nimm mich zum Beispiel. Als ich anfing, die Wege eines Kriegers zu erlernen, da wußte ich auch nicht, daß ich Kraft speicherte. Genau wie du glaubte ich, gar nichts Besonderes zu tun, doch dem war nicht so. Kraft hat die Eigenschaft, nicht bemerkbar zu sein, wenn sie gespeichert wird.«
    Ich bat ihn, mir zu erklären, wie er zu dem Schluß gelangt war, daß es für mich gefährlich sei, allein in der Dunkelheit zu sein. »Die Wesen der Nacht begleiteten dich zu deiner Linken«, sagte er. »Sie versuchten, sich mit deinem Tod zu vereinigen. Besonders die Tür, die du sahst. Es war eine Öffnung, weißt du, und sie hätte dich angezogen, bis du gezwungen wärest, hindurchzugehen. Und das wäre dein Ende gewesen.«
    Ich erwähnte vorsichtig, daß ich es für seltsam hielt, daß solche Dinge immer geschahen, wenn er dabei war, ja, es sei geradeso, als hätte er selbst all diese Ereignisse angezettelt. Wenn ich bislang nachts allein in der Wildnis war, hat sich immer alles normal und ohne besondere Vorkommnisse zugetragen. Ich hatte nie Schatten oder ungewöhnliche Geräusche wahrgenommen. Ja, ich hatte mich nie vor irgend etwas gefürchtet.
    Don Juan lachte leise und sagte, all dies sei doch der Beweis, daß er genügend persönliche Kraft habe, um eine Vielzahl von Dingen zu seiner Hilfe herbeizurufen. Ich hatte den Eindruck, er wollte damit vielleicht andeuten, daß er tatsächlich einige Leute als Komplizen hinzugezogen hatte. Don Juan schien meine Gedanken gelesen zu haben und lachte laut heraus.
    »Überanstrenge dich nicht mit Erklärungsversuchen«, sagte er. »Was ich dir gerade sagte, erscheint dir einfach deshalb unverständlich, weil du noch nicht genügend

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