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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Krieger versucht immer, die Kraft des Tuns zu beeinflussen, indem er sie in Nicht-tun verwandelt. Es wäre Tun, wenn du den Kiesel einfach herumliegen läßt, weil er doch nur ein kleines Steinchen ist. Nicht-tun bedeutet, mit diesem Kiesel so zu verfahren, als sei er viel mehr als nur ein Stein. Du hast diesen Kiesel nun sehr lange in dich aufgenommen, und jetzt ist er du, und mithin darfst du ihn nicht herumliegen lassen, sondern mußt ihn begraben. Hättest du aber persönliche Kraft, so würde das Nicht-tun bewirken, daß du ihn in ein Kraft-Objekt verwandelst.«
»Kann ich das jetzt tun?«
    »Dein Leben ist nicht fest genug, um das zu tun. Wenn du sehen könntest, dann wüßtest du, daß deine starke Anteilnahme diesen Kiesel in etwas recht Abstoßendes verwandelt hat. Daher ist es das Beste, wenn du ein Loch gräbst und ihn beerdigst und seine Kraft von der Erde absorbieren läßt.«
»Ist all das wirklich wahr, Don Juan?«
    »Würde ich auf deine Frage mit ja oder nein antworten, so wäre das Tun. Aber da du das Nicht-tun lernen sollst, muß ich dir sagen, daß es in Wirklichkeit ganz gleichgültig ist, ob es wahr ist oder nicht. Genau das ist ja der Vorsprung, den ein Krieger gegenüber, dem Durchschnittsmenschen hat. Ein Durchschnittsmensch sorgt sich darum, ob die Dinge wahr oder falsch sind, ein Krieger aber tut das nicht. Ein Durchschnittsmensch verhält sich in einer bestimmten Weise zu Dingen, von denen er weiß, daß sie wahr sind, und in einer anderen Weise zu Dingen, von denen er weiß, daß sie nicht wahr sind. Wenn die Dinge als wahr gelten, dann handelt er und glaubt an das, was er tut. Aber wenn die Dinge als unwahr gelten, dann macht er sich nicht die Mühe, zu handeln, oder er glaubt nicht an das, was er tut. Ein Krieger hingegen handelt in beiden Fällen. Wenn die Dinge als wahr gelten, dann handelt er, um zu tun. Wenn die Dinge als unwahr gelten, dann handelt er trotzdem, um nichtzutun. Verstehst du, was ich meine?«
»Nein, ich verstehe keineswegs, was du meinst«, sagte ich. Don Juans Ausführungen weckten in mir eine streitlustige Stimmung. Ich konnte in dem, was er sagte, keinen Sinn erkennen. Ich sagte ihm, dies alles sei für mich Kauderwelsch, er aber verspottete mich, und sagte, ich hätte nicht einmal bei dem, was ich am liebsten täte, nämlich beim Reden, einen untadeligen Geist. Er machte sich sogar über mein Sprachvermögen lustig und fand es fehlerhaft und unzulänglich.
    »Wenn du es nur mit dem Maul schaffen willst, dann sei ein Maul-Krieger«, sagte er und lachte dröhnend. Ich war deprimiert. Meine Ohren summten. Ich empfand eine unangenehme Hitze im Kopf. Ich war wirklich verstört und hatte wahrscheinlich ein rotes Gesicht.
    Ich stand auf, ging in den Chaparral und beerdigte den Kiesel. »Ich habe dich nur etwas auf den Arm genommen«, sagte Don Juan, als ich zurückkehrte und mich wieder setzte. »Aber ich weiß wohl, daß du nicht verstehst, wenn du nicht sprichst. Sprechen heißt für dich Tun. Aber Sprechen ist unzulänglich, und wenn du wissen willst, was ich unter Nicht-tun verstehe, dann mußt du eine einfache Übung ausführen. Da es ums Nicht-tun geht, ist es egal, ob du die Übung jetzt oder in zehn Jahren machst.« Er hieß mich niederlegen, nahm meinen rechten Arm und beugte ihn im Ellbogen. Dann drehte er meine Hand, so daß die Handfläche nach vorn gerichtet war: er bog meine Finger, so daß es aussah, als hielte ich einen Türknauf in der Hand, und dann fing er an, meinen Arm in einer Kreisbewegung vor und zurück zu bewegen, die dem Schieben und Ziehen eines an einem Rand befestigten Hebels glich.
    »Ein Krieger«, sagte Don Juan, »führt diese Bewegung immer dann aus, wenn er etwas aus seinem Körper ausstoßen will, etwa eine Krankheit oder ein unangenehmes Gefühl.« Dem lag die Vorstellung zugrunde, eine imaginäre Gegenkraft zu schieben und zu ziehen, bis man das Gefühl hatte, daß ein schwerer Gegenstand, ein fester Körper die freie Bewegung der Hand bremste. Bei dieser Übung bestand das »Nicht-tun« darin, daß man sie fortsetzte, bis man den schweren Körper mit der Hand fühlte, und dies trotz der Tatsache, daß es doch allem Anschein nach unmöglich war, ihn zu fühlen.
    Ich fing an, meinen Arm zu bewegen, und nach kurzer Zeit wurde meine Hand eiskalt. Ich hatte ein breiiges Gefühl in der Hand. Es war, als rührte ich in einer schweren, zähflüssigen Substanz. Plötzlich fuhr Don Juan auf und packte meinen Arm, um meine Bewegung zu

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