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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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davon überzeugt, daß sie es nicht tun,  denn genau das ist dein Tun. Es ist die Art, wie du dich mir und der Welt gegenüber verhältst.« Wieder deutete er auf den Stein.
    »Dieser Stein ist ein Stein durch all das, was du in bezug auf ihn zu tun weißt«, sagte er. »Das nenne ich Tun. Ein Wissender zum Beispiel weiß, daß der Stein nur durch das Tun ein Stein ist; wenn er also nicht will, daß der Stein ein Stein ist, dann braucht er bloß zum Nicht-tun überzugehen. Verstehst du, was ich meine?« Ich verstand ihn keineswegs. Er lachte und machte noch einmal den Versuch, es mir zu erklären. »Die Welt ist die Welt, weil du weißt, welches Tun erforderlich ist, sie dazu zu machen«, sagte er. »Würdest du sie nicht durch Tun zu dem machen, was sie ist, dann wäre die Welt anders.« Er sah mich neugierig an. Ich hörte auf zu schreiben. Ich wollte ihm einfach zuhören. Er fuhr fort und erklärte, daß es ohne dieses gewisse »Tun« in der Umwelt nichts Vertrautes gäbe. Er beugte sich vor, nahm einen kleinen Stein zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand und hielt ihn mir vor die Augen.
    »Dies ist ein Kiesel, weil du das Tun beherrschst, das ihn zu einem Kiesel macht«, sagte er.
    »Was sagst du da?« fragte ich in absoluter Verwirrung. Don Juan lächelte. Anscheinend versuchte er, ein boshaftes Vergnügen zu verbergen. »Ich weiß gar nicht, warum du so verwirrt bist«, sagte er. »Du bist doch ein Freund von Worten. Du solltest dich wie im Himmel fühlen.«
    Er warf mir einen geheimnisvollen Blick zu und hob zwei- oder dreimal die Augenbrauen. Dann deutete er auf das Steinchen, das er mir vor die Augen hielt.
    »Ich will sagen, daß du dies hier zu einem Kiesel machst, weil du das dafür erforderliche Tun kennst«, sagte er. »Um nun die Welt anzuhalten, mußt du jedes Tun einstellen.« Er wußte offenbar, daß ich ihn immer noch nicht verstanden hatte, und schüttelte lächelnd den Kopf. Dann nahm er einen Zweig und deutete damit auf die unebene Kante des Kiesels. »Bei diesem Steinchen zum Beispiel«, fuhr er fort, »ist das erste, was das Tun bewirkt, daß es ihn auf diese Größe schrumpfen läßt. Ein Krieger muß also, wenn er die Welt anhalten will, einen kleinen Stein oder etwas beliebig anderes vergrößern, und zwar durch Nicht-tun.«
    Er stand auf, legte den Kiesel auf einen Felsblock und bat mich, näherzutreten und ihn genau zu betrachten. Er sagte, ich solle die Löcher und Vertiefungen im Kiesel ansehen und versuchen, jede kleine Einzelheit wahrzunehmen. Wenn ich mich an das Detail halte, sagte er, verschwänden die Löcher und Vertiefungen, und dann würde ich verstehen, was Nicht-tun bedeutet. »Dieser verfluchte Kiesel wird dich heute noch den Verstand kosten«, sagte er.
    Ich machte wohl ein sehr bestürztes Gesicht. Er sah mich an und lachte schallend. Dann tat er so, als sei er wütend auf den Kiesel und schlug ihn zwei- oder dreimal mit dem Hut. Ich forderte ihn auf, sich genauer zu erklären. Es sei ihm doch möglich, alles und jedes zu erklären, meinte ich, wenn er sich nur bemühte. Er warf mir einen verschlagenen Blick zu und schüttelte den Kopf, als sei die Situation hoffnungslos.
    »Gewiß kann ich alles erklären«, sagte er lachend. »Aber kannst du es verstehen?« Seine Anspielung verblüffte mich.
    »Das Tun macht, daß du den Kiesel von dem größeren Felsblock trennst«, fuhr er fort. »Wenn du Nicht-tun lernen willst, dann mußt du sozusagen lernen, sie zu vereinigen.« Er deutete auf den kleinen Schatten, den der Kiesel auf den Felsblock warf, und sagte, das sei kein Schatten, sondern Leim, der beide miteinander verbinde. Dann drehte er sich um und ging fort, wobei er sagte, er werde später wiederkommen, um nach mir zu schauen.
    Lange starrte ich den Kiesel an. Ich konnte mich nicht auf die winzigen Details in den Löchern und Vertiefungen konzentrieren, aber der kleine Schatten, den der Kiesel auf den Felsblock warf, erwies sich als höchst interessant. Don Juan hatte recht; er war wie Leim. Er bewegte und veränderte sich. Ich hatte den Eindruck, er würde unter dem Kiesel hervorgepreßt.
    Als Don Juan zurückkehrte, erzählte ich ihm, was ich an dem Schatten beobachtet hatte.
    »Das ist ein guter Anfang« sagte er. »Ein Krieger kann an den Schatten alles ablesen.«
    Dann schlug er vor, ich solle den Kiesel nehmen und ihn irgendwo begraben. »Warum?« fragte ich.
    »Du hast ihn lange angesehen«, sagte er. »Jetzt hat er etwas von dir aufgenommen. Ein

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