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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna R. Unger
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Unterricht musste selbstverständlich auf Englisch abgehalten werden.
     
    Die feinen Unterschiede – Geschlechterrollen und Wissenschaftskulturen
     
    Für etliche Frauen, die vor ihrer Flucht in der Wissenschaft tätig gewesen waren, aber keine Professuren innegehabt hatten – der Anteil von Professorinnen an den deutschen Hochschulen vor 1933 war verschwindend gering, weil ausgeprägte Vorurteile gegen Frauen in der |69| Wissenschaft herrschten und sie diskriminiert wurden –, bot das Exil Aufstiegschancen. Nur vier Prozent der jüngeren Wissenschaftlerinnen, die in die USA gingen, hatten in Deutschland an Hochschulen gelehrt; in den USA stieg diese Zahl auf 24 Prozent. Im Vergleich dazu fanden von den neun Prozent der männlichen Wissenschaftler, die vor ihrem Exil gelehrt hatten, 28 Prozent in den USA eine Hochschulstelle. Also gelang es den Frauen, ihren Rückstand gegenüber den männlichen Kollegen aufzuholen; allerdings erhielten sie meist deutlich niedrigere Gehälter als die Männer. 25
    Gemeinsam war Frauen und Männern in der Wissenschaft, dass sie sich in einer ganz anderen akademischen Kultur zurechtfinden und sich neue Forschungsmethoden aneignen mussten. Grundsätzlich war „ein ‚adjustment to the American way of life‘ nicht ganz zu umgehen, wenn man akzeptiert werden wollte“, wie Karl Löwith feststellte. 26 Das betraf nicht nur fachliche Aspekte, sondern auch Fragen von Stil und Habitus. An den US-Hochschulen waren ein ganz anderer Ton und ein viel lockerer Umgang mit den Studierenden üblich als an den hierarchisch geführten deutschen Universitäten. Die Professoren wurden in den Vereinigten Staaten nicht als ehrwürdige Eminenzen behandelt, wie es die deutschen Ordinarien gewohnt waren; dieser Unterschied führte wiederholt zu Missverständnissen und Irritationen. Dass Dozenten in den USA häufig als Lehrer im schulischen Sinne und weniger als Wissenschaftler wahrgenommen wurden, stellte das professionelle Selbstverständnis vieler deutscher Exilanten infrage.
    Hinzu kamen in einigen Fällen politische Vorbehalte gegenüber Deutschen und Deutschland, unabhängig davon, ob es sich um Anhänger des NS-Staates oder um dessen dezidierte Gegner handelte. Hinter solchen Argumenten stand zum einen die Sorge der einheimischen Wissenschaftler, die Exilanten könnten ihnen die Stellen „steh len “. Gerade in den Geisteswissenschaften, die meist über geringere finanzielle Mittel und weniger feste Stellen verfügten, war diese Wahrnehmung ausgeprägt. Ein weiterer Grund, weshalb geflohene Wissenschaftler oft nur mittelmäßige bis schlechte Chancen hatten, an den Universitäten und Forschungseinrichtungen des Exillandes unterzukommen, |70| war der Antisemitismus. Noch in den Dreißigerjahren existierten an einigen amerikanischen Universitäten informelle Quoten, die regelten, wie viele Wissenschaftler und Studierende jüdischer Herkunft zugelassen werden könnten. In einem solchen Klima war es für die Exilanten häufig schwierig, nicht nur ein Auskommen, sondern auch fachliche Anerkennung zu finden. Etliche unterrichteten jahrelang Kurse an weniger bekannten (oftmals afroamerikanischen) Colleges und Universitäten und konnten ihre frühere Forschung nicht fortsetzen. Andererseits stellte die Gelegenheit, im Ausland zu arbeiten und neue Ansätze kennenzulernen, eine ungeahnte professionelle Bereicherung dar, und einigen Wissenschaftlern gelang es, die mitgebrachten mit den im Exilland vorgefundenen Konzepten zu verbinden. Auch hier ist das amerikanische Beispiel besonders anschaulich.
     
    Das Office of Strategic Services
     
    Mit dem Kriegseintritt der USA stieg die Nachfrage nach Experten, die Kenntnisse über die umkämpften Regionen besaßen, die sie den Alliierten vermitteln konnten. Ein Sammelbecken für emigrierte Geistes- und Sozialwissenschaftler wurde das Office of Strategic Services (OSS), eine amerikanische Geheimdienststelle. In ihrer Foreign Nationalities Branch und in der Unterabteilung Research and Analysis (R&A) fertigten etliche Emigranten Analysen über Fragen der deutschen Geschichte, Kultur, Geographie usw. an. Franz Neumann, John (Hans) Herz, Herbert Marcuse, Hajo Holborn, Carl E. Schorske, Felix Gilbert, Otto Kirchheimer u. a. versuchten zu erklären, wie das NS-System funktionierte und welche Bedingungen es seinen Anführern erleichtert hatten, sich zu etablieren. Von diesen, teils marxistisch orientierten Studien ausgehend, formulierten sie Empfehlungen, was die

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