Reise zu Lena
heute zur Feier des Tages zu verkünden hatte: Seine Worte würden dem Festmahl seinen Sinn geben, jeder am Tisch wird sich willkommen wissen, sich in seinen Ausführungen wiederfinden, die nun langsam, bedächtig, erst Wort für Wort, dann fließender mit kleinen lustigen Einsprengseln für die Kinder begönnen. Er steigerte sich, jetzt kam eine Wortsalve nach der anderen, Pausen lagen dazwischen, lange Pausen, wo es so still im Raum wurde, dass man den Atem seines Nachbarn hören konnte. Sehnsüchtige Blicke richteten sich auf ihn: Bitte, bitte, fahre fort! Lass uns nicht zu lange warten! Wann kommst Du auf mich zu sprechen, endlich zu mir, das gelungene Examen, die erfolgreiche Reise, das erwartete Kind, die beruflichen Ehren? Albert verteilte sein Lob, er packte jeden Einzelnen mit seinen Formulierungen, schüttelte ihn, stellte Zweifel in Frage, regte an, wies den Weg. Am Schluss, in der Zielgeraden, das Finish, Stakkato, das Verebben seines Wortschwalls, die Beruhigung der Stimme, das Ende. Er senkte den Kopf leicht nach vorne, bescheiden, wie beiläufig, sah erstaunt mit hochgezogenen Augenbrauen um sich, als der Beifall aufbrandete, als Ann und die beiden Kinder, ihre Freunde aufsprangen, auch Christie, klatschten, riefen, lachten wie befreit. Was für ein meisterlicher Auftritt! Wortlos ließ er sich auf seinen Stuhl fallen, ein glücklicher Tag.
Es klingelte an der Haustür. Ein Lieferant oder vielleicht nur ein Kinderscherz? Nun war es an ihm, zu öffnen. Es war Lori, seine Schwiegertochter, das Erstaunen war groß, zu lange hatte man sich nicht gesehen, aber er freute sich. Sie sah hübsch aus in ihrem Sommerkleidchen, ihr schmales Gesicht hatte immer noch das Leuchten der Jugend, für heute zumindest. Sie hatte sich schön für ihn gemacht, kein Zweifel:
»Ich bring Dir ein paar Sachen zum Naschen, Vater! Etwas Gebäck, das was Du magst, vor allem Obst, ein bisschen Wurst für das Brot, das ich auch nicht vergessen habe: Etwas Besonderes. Und eine Flasche Rotwein, meinen Liebling aus Italien. Ich hoffe, Du freust Dich, Vater.«
Lori hatte früher nie Vater zu ihm gesagt, das hatte er nicht vergessen. Sie saßen in der Küche, sie bereitete den Tee zu, strich ihm ein Brot mit der neuen Salami drauf und Tomaten.
»Natürlich freue ich mich über das alles, aber am meisten über Deinen Besuch, Lori, nach langer Zeit. Du siehst gut aus, aber ein wenig traurig um die Augen. Hast Du Kummer?«
Sie schaute zu Boden, stand auf, öffnete das Fenster, atmete die Morgenluft tief ein, wanderte durch den Raum, sah ihm endlich fest in die Augen:
»Es ist schwer, sehr schwer. Ich meine, es ist schwer mit ihm. Er ist sehr eigen, lässt keine andere Meinung zu, er wird immer herrschsüchtiger. Ich frage mich: Ist es nur die Firma? Er sagt: Ich muss Chef sein! Aber warum auch zu Hause? Er braucht mich noch zweimal die Woche nach Lutherart, wenn Du mich verstehst, sonst interessiert er sich wenig für mich. Er ist sich selbst genug. Und das Schlimmste: Er nimmt mir die drei Jungen weg, er ist ihr Ein und Alles, ihr Abgott. Ich bin nur das Hausmädchen.«
Nun schwieg Albert, stand ebenfalls auf, stellte sich neben sie, legte seinen Arm um ihre Schulter:
»Und Du meinst, ich könnte helfen, Dir helfen? Könnte mit Anton reden, ihn aufwecken?«
Sie schaute ihn scheu an:
»Ich bin nicht deswegen hier. Ich bin hier, weil ich Dich wieder sehen wollte, und . . . Und weil Du, weil Du der Einzige in der Familie bist, der mich versteht. Jetzt wo Glorie nicht mehr ist.«
Sie lehnte ihr Gesicht für einen Augenblick an seine Wange, ihre langen Haare, die ihm immer so gut gefallen haben, kitzelten ihn am Ohr und an der Nase. Darf er sich freuen? Er freut sich. Er denkt: Bin ich doch zu etwas nutze, bin ich nicht allein.
Sie erzählte ihm, nachdem sie Platz genommen hatten und den heißen Tee schlürften, dass sie wieder ihren Beruf aufgenommen habe, ihre Praxis als Kinderärztin liefe vom ersten Tag wie kaum erhofft. Bevor sie aufbrach:
»Ich komme Dich, wenn Du erlaubst, schon sehr bald wieder besuchen. Mit einem Überraschungsgast, Du wirst Dich freuen, Christie ist seit einigen Tagen wieder in der Stadt, braungebrannt von der afrikanischen Sonne. Sie ist durch ihre Arbeit dort unten noch jünger geworden, es ist vielleicht doch gut, anderen Menschen zu helfen, besonders den Armen. Ich fühle mich mit meinem Kummer alt neben ihr, ja, wie eine alte Frau.«
»Ach was! Du bist im besten Alter, keine Frage. Du tust gut
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