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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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Gassen. Ein Ort, von der Wüste eingeschlossen, wo die Zeit schon lange tot ist. Ein Ort, wo man vergisst, wer man ist.
    Der alte Mann fand immer mehr Gefallen an seiner überraschenden Reise, der große Forst lag schon hinter ihnen, genauso der Friedhof, dessen Mauern nicht enden wollten. Er mochte Friedhöfe nicht, diese Museen der Toten. Er hätte nie die Kraft gehabt, Glories Grab, wenn es eines gegeben hätte, aufzusuchen. Die Landschaft draußen bot sich in sanften Wellen an, die Steigung gefiel ihm am besten, oben von den Anhöhen grüßten Baumgruppen, auch einmal ein Kirchlein, Dörfer mit Fachwerkhäusern zur Rechten und Linken, dazwischen eine Schlucht, dann wieder Schornsteine, hoch aufgerichtet, niedrige Fabrikhallen, die sich in die Länge zogen: Ein blühendes Land, dachte er, kein Grund zur Sorge! Der Himmel mal blau, dann wieder dicke weiße Wolken weit oben, irgendwo in der Ferne ging Regen nieder.
    Sie mochten sicher eine Stunde gefahren sein, als Christie mit ihm an einer Anhöhe eine Pause einlegte, um die Aussicht zu genießen, die sich ihnen bot, weite Wälder, durchbrochen von Feldern, Äcker, die bereits abgeerntet waren.
    »Bald haben wir es geschafft, nur noch einige Minuten.«
    Sie ließ durch das geöffnete Fenster frische Luft ein, er atmete tief:
    »Mein Gott, das ist das Leben. Die Luft, wie sie schmeckt!«
    Ganz in der Ferne erkannten sie Erhebungen, Berge, die sich langzogen.
    »Ich könnte ewig so weiterfahren, vielleicht gleich durch bis Afrika: Ich bin dabei! Ich hatte vergessen, wie schön die Welt hier ist.«
    Albert hatte liebevoll seinen Arm um ihre Schultern gelegt, blickte sie dankbar an:
    »Es war ja auch höchste Zeit, Christie, dass Du mich auf eine Reise mitnimmst. Lange genug habe ich gewartet. Jetzt wirst Du mich nicht mehr so schnell los.«
    Das Haus, kleiner als er erwartet hatte, geduckt, das Dach so tief gezogen, dass er es mit der Hand berühren konnte, grau, mit grünen Schlagläden, deren Farbe abblätterte, man hätte es übersehen können, dort, am Rande einer großen Wiese. Das überschaubare Grundstück war umschlossen von hohen Sträuchern, einigen alten Bäumen. Aber da waren vor allem die vielen Rosen, die vom Boden nach oben kletterten, am Haus hoch und wo sonst sich die Gelegenheit bot, überall waren blühende Hecken: Christies Mutter war offensichtlich eine Rosenlady. Die Rosen verzauberten alles.
    Albert war nie in diesem Haus gewesen, hatte auch Christies Mutter eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann genau das letzte Mal. Jetzt stand sie vor ihm, im Dunkel des Hauseingangs, scheinbar verlegen, klein, viel kleiner als er sie in Erinnerung hatte. Ihre Tochter überragte sie um mehr als einen Kopf, dabei war sie etwas untersetzt in ihrem verschossenen Leinenkleid und ihren klobigen Schuhen, an denen Erde klebte, ihr welliges, ergrautes Haar nach hinten gekämmt. Aber ihre vollen, aufgeworfenen Lippen zeugten von Leben.
    Albert dachte: Schämt sie sich? Also komme ich ungelegen?
    Christie sagte etwas von hinten, was ihre Mutter antwortete, verstand er nicht. Sie schien sich zu entschuldigen, er wusste nicht für was. Und für was hätte jemand sich bei ihm entschuldigen sollen? Albert fiel Ann ein, ihre hohe, aufrechte Gestalt, so voller Selbstbewusstsein, so voller Pflichtbewusstsein, ihr fein gegliedertes Gesicht, das von Jahr zu Jahr strengere Züge annahm.
    »Ich darf mich bedanken, dass ich hier sein darf. Sicher hat es Christie gut gemeint, ich hoffe bloß, dass ich Ihnen nicht zur Last falle. Ich bin ein recht unnützer Kerl.«
    Im Wohnzimmer stand schon eine Teekanne bereit, unter der eine wärmende Flamme brannte, ein schmucker, niedriger Raum, der die Bewohnerin, die jetzt vor ihm herging, kleiner noch und fülliger erscheinen ließ. Ihm gefielen die einfachen, von groben Stoffen überzogenen Möbel, der alte Sekretär an der Wand, die niedrigen Leuchten.
    »Nein, Sie stören uns nicht, nein, sicher nicht, Ihr Besuch ist das einzige, was Christie sich wünschte. Ich hoffe, Sie helfen mir, sie dazu zu bringen . . . Ach, die Vergangenheit . . . Ich weiß, was Sie ihr bedeuten, Sie haben Einfluss. Wir werden jetzt erst einmal Ihren Koffer aufs Zimmer bringen. Was sage ich: Zimmer! Es ist eher eine Kammer, in der Sie sich mit Ihrer stattlichen Größe kaum umdrehen können.«
    Der Tag endete in Stille. Er ging mit den beiden Frauen hinaus, um die Landschaft zu erkunden, um die Luft einzuatmen, hinüber

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