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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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Glorie suizidgefährdet sei. Man dürfe das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Und es wäre an der Zeit, dass auch ich als ihre engste Freundin darüber in Kenntnis gesetzt würde. Er sprach weitschweifig, so als er ob er uns eine Vorlesung halten müsse, sah dabei an mir vorbei, hüstelte immer wieder und verhaspelte sich öfters. Danach zog ich im Einvernehmen von Lena und Glories Eltern für eine Zeit zu ihr. Ein Zimmer neben dem ihren wurde frei geräumt und für mich eingerichtet. Es gab eine Verbindungstür zwischen den beiden Räumen, die Tag und Nacht offenstand, damit wir immer Zugang zueinander hatten. Ich sagte zu ihr:
    >Wenn Du Dir etwas antun solltest, bringe ich mich um! Oder Dich!<
    Dann lachten wir. Sie versprach hoch und heilig, mich niemals zu verlassen. Dieses Versprechen hat sie lange eingelöst. Ich lernte unendlich viel über ihre Krankheit. Anfangs war es Glorie, die mir alle Einzelheiten schilderte, während sie später nicht mehr darüber sprechen wollte: Das Versinken in ein unendliches Meer der Traurigkeit, die tiefe Angst, daraus nie wieder aufzutauchen. Die Lähmung aller Gefühle, das Einfrieren aller Regungen. Immer wieder das Rütteln an den Gittern des Gefängnisses, wo niemand einen hörte und niemand einen achtete. Das Grauen der Einsamkeit.
    Am Ende die Sehnsucht nach der Befreiung, dem Tod. Jede Angst vor dem Ende wie verflogen. Der Tod, Dein Schutzengel, Erlöser.
    Der Schritt, ein Leichtes, zum Greifen nahe, endlich, endlich. Alles hinter sich lassen.
    Dann kamen wieder andere Tage. Wie geheilt trat sie, ein Phoenix aus der Asche, aus der Dunkelheit hervor, Licht überall. Wo war sie gewesen? Welches Untier hatte sie in seinen Klauen gehalten?
    Immer wieder wurde sie auf neue Medikamente eingestellt, man versuchte dies und das, tauschte aus, mit wechselndem Erfolg.
    Wirklich helfen konnte keines der Mittel, lindern gelegentlich, nur auf Zeit. Ich war verzweifelt, dachte, wohin wird das alles führen?«
    Christie legte ihre Blätter beiseite und fuhr sich mit ihren Händen nachlässig durch die Haare. Es war spät geworden. Ein Gewitter ging draußen nieder. Der Regen schlug gegen die Fenster, dann erhellte ein Blitz die Nacht. Das Feuer im niedrigen Kamin war nahe daran zu erlöschen. Lena hielt die Hände gefaltet, die Augen geschlossen. Albert rieb sich die Stirn, gähnte verstohlen und versuchte zu lächeln, als wolle er sich entschuldigen, dass er ein wenig eingenickt war, während Lena ihr aufmunternd zulächelte:
    »Was für eine bewegende Geschichte hast Du für uns aufgeschrieben, Christie! So fremd und so nah. Du warst damals unsere größte Hilfe, Du warst an der Front, ich sah mich in die Etappe verbannt, versuchte mit allen Kräften und doch vergeblich, den Kontakt zu Glorie aufrecht zu halten. Eltern wissen oft so wenig von ihren Kindern, sie erfahren eben nicht alles, auch nicht wenn es hart auf hart geht. Aber die meiste Zeit verbrachte ich damit zu hadern: Ich klagte Gott an. Was hatte mein armes, geliebtes Kind getan, um so leiden zu müssen? Aber eine Frage will ich Dir stellen:
    Wo war Anton? Du erwähnst nicht seinen Namen.
    »Du hast recht. Aber ich denke, er hatte als heranwachsender Mann genug mit sich selbst zu tun. Fühlte er sich nicht ausgeschlossen? Sicher ist, dass er wie alle sich eine gesunde und glückliche Familie wünschte. Aber es war schwer, dem damals in die Augen zu sehen. Weißt Du, Albert, ich möchte lieber vergessen. Ja, vergessen: Wenn das möglich wäre!«
    »Nach uns, Christie, nach uns ist Ruhe, endlich Ruhe. Warten wir darauf.«
    »Meine Arbeit dort unten in Afrika verlangt mich ganz. Die unglaubliche Armut, die Krankheiten: Cholera, Typhus, Aids! Da weiß ich, dass es gut war, Medizin zu studieren.«
    »Ja, ich könnte Dich jetzt beneiden. Helfen heißt vergessen.«
    Christie war aufgestanden, streckte sich:
    »Ich glaube, wir gehen besser ins Bett. Es ist spät genug.
    Morgen, wenn Ihr wollt, lese ich Euch weiter vor. Es ist nicht mehr viel Zeit, ich muss bald abreisen.«
    Lena war aufgestanden, hantierte mit dem Eisen an den erlöschenden Holzscheiten:
    »Vergessen . . . Mit der Zeit verstehen: Ich glaube, das ist es.«
    Am nächsten Morgen, schon bald nach dem Frühstück, nahm Christie ihre Erzählung wieder auf:
    »Immer wenn es Glorie besser ging, schlief ich wieder in meinem Zimmer bei Lena. Als ich einmal mit Fieber im Bett lag, ging Glorie allein, ohne mich, zur Abiturfeier eines älteren Mitschülers, dessen Eltern

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