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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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schön genug sein, während Ann für Bescheidenheit plädierte. Wir waren ja nur wenig über zwanzig. Es gab fast Streit darüber. Am Schluss genügte ein Kopfnicken von Glorie, immer noch Prinzessin, und wir zogen in eine geräumige, helle Behausung mit einem kleinen Dachgarten und einem weiten Blick über die Stadt. Sie kam wieder zu Kräften. Aber die Müdigkeit, die sie aus der Klinik mitgebracht hatte, die sicher auch auf die schweren Medikamente zurückzuführen war, die sie weiter einnehmen musste, blieb. Es war ein Leben der Langsamkeit, das sie umfangen hatte, ungewohnt und neu für mich. Das morgendliche Aufstehen, der Aufenthalt im Bad, früher nur eine Angelegenheit von Minuten, kostete oft eine Stunde, wenn nicht mehr. Am Frühstückstisch versuchte sie ihre Gedanken zu sammeln: Was stand auf dem Programm? Lohnte es die Mühen? Sollte man nicht besser absagen?
    Warum überhaupt? Sie fragte nach Menschen, über die wir schon am Vortag uns ausführlich ausgetauscht hatten, oft dreimal, viermal hintereinander. War es Vergesslichkeit, Gleichgültigkeit?
    Sie konnte es selbst nicht sagen. Um dem Durcheinander ein wenig zu entgehen, schaffte sie sich Zettelchen an, auf denen sie ihre Termine der nächsten Tage notierte, oftmals versehen mit phantasievollen Kritzeleien, komischen Arabesken. Tanguy war ihr Lieblingsmaler geworden. Die Drucke seiner Bilder schmückten, ob man sie sehen wollte oder nicht, überall unsere Wohnung, unfigürliche Figuren, diese kleinen, oft putzigen Lebewesen, wie sie sich übereinander türmten, miteinander spielten, sich spreizten, bloßstellten.
    In die Akademie ging sie nur noch sporadisch, wie zu Besuch. Sie hatte ihren Zeichenblock dabei, hörte dem Professor andächtig zu, verträumt, freundlich, aber mit den Gedanken nicht bei der Sache.
    Der Niederschlag auf ihren Seiten war skizzenhaft, es blieb oft nach Stunden bei einigen Strichen, einigen wenigen Strichen, ein paar Kreiseln, die aber entzücken konnten. Später begann sie Höhlen zu zeichnen, immer wieder Höhlen, vielleicht auch Nester, die den Betrachter in ihr Inneres lockten, Höhlen und Nester, um sich zu verstecken, in denen man verschwinden konnte. Dann packte sie die Leidenschaft. Die Blätter, auf denen sie arbeitete, wurden groß und größer, der Strich fester, entschlossener, Farbe, wenn überhaupt, wenig, spärlich aufgetragen. Jetzt schienen ihre Arbeiten von Protest, von Aufbegehren beseelt.
    Einige Zeichnungen, wie von leichter Hand, fanden große Beachtung. Die Stimmen der Professoren, der Studenten der Akademie, wo sie für einige Tage in der Eingangshalle ausgestellt waren, schwirrten durcheinander:
    >Wo hat sie das her?<
    >Sie ist doch nie hier . . .<
    >Schläft sie mit Picasso?<
    >Bewundernswert, diese Frau: Wenn sie so weitermacht, haben wir ein Genie in der Akademie!<
    Glorie ging durch diesen Lärm hindurch wie durch einen lauen Sommerregen. Ein scheues Lächeln hin und wieder, aber sie schien nicht hinzuhören. Wenn man sie auf den Fluren, in der Klasse, in der Cafeteria ansprach, senkte sie ihren Blick, sagte nur ein Wort:
    >Danke.<
    Abends hatte sie alles vergessen. Ich glaube, es interessierte sie einfach nicht. All diese Menschen mit ihrem , wie sie es ausdrückte, waren ihr fern. Nur sie selbst zählte.
    Dann erschien ein Fremder in der Akademie, den ich dabei beobachtete, wie er mit gebückter Haltung ihre großformatigen Zeichnungen genau studierte, dabei seine Brille abnahm und mit dem Gesicht beinahe die Blätter zu berühren schien. Ich sah nur seinen Rücken im Vorbeigehen. Dann drehte er sich nach mir um, als ob er mich erwartet hätte:
    >Dr. Kornbluhm!<
    Mein Todfeind! Warum stellte er sich mir vor, wo wir doch schon längst bekannt waren von der unglückseligen Heilanstalt. Mir fiel im Augenblick sehr wenig ein:
    >Sie hier?<
    >Ja, wenn Sie erlauben, Sie als ihr Alter Ego.<
    >Das beantwortet nicht meine Frage, Herr Doktor. Wir sind hier nicht in Ihrer Anstalt.<
    >Nein, natürlich nicht. Ich weiß, Sie wünschen mich zum Teufel. So etwas gehört dazu, das haben wir öfter, kein Problem.<
    Er hielt seine Brille in den Händen und putzte sie umständlich mit einem Taschentuch:
    >Aber die Freude kann ich Ihnen nicht machen: einmal Patient, immer Patient.<
    >Wissen Sie, dass ich Sie umbringen könnte? Es würde mir die größte Freude bereiten.<
    >Mit Lust, verehrte junge Frau! Mit Lust, nicht mit Freude. Warum tun Sie es nicht: Jetzt ist doch eine gute Gelegenheit. Aber es

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