Reise zu Lena
Körper stecken kann. Aber je näher unsere Körper einander kamen, das Bett uns zusammenkettete, desto weniger liebte ich ihn. Von Tag zu Tag fühlte ich mich leerer.
Am Schluss gab es für mich nur noch Traurigkeit. Es war wie ein Abschied von der Liebe. Und Glorie erblickte ich im Hintergrund.
Fred strahlte im Gegensatz zu mir von Tag zu Tag mehr. Er hatte in seinen Augen die Prüfung bestanden. Er sah die Zukunft klar: Er meinte, ich sei ihm ganz und gar ergeben. Mit Sicherheit gefügig, da hatte er völlig recht. Ich gehorchte wie eine gut erzogene Stute auf jeden Schenkeldruck. Wir würden ein hervorragendes Paar fürs Leben abgeben. Nach dem Studium sollte geheiratet werden, so führte er aus, und dann standen viele Kinder ins Haus. Er war von seiner Sache völlig überzeugt. Die Eltern seien schon so gut wie einverstanden. Irland schien mir sicher.
Nach einigen Semestern sattelte ich um. Ich konnte in der Soziologie nicht das finden, was ich suchte. Ich dachte an mich, verglich mich mit einem durch und durch verwickelten Knäuel und fand nur hohle Formeln. So begann ich Medizin zu studieren. Mit Erfolg. Bald war ich völlig vom Studium eingefangen. Schon wieder brach der Ehrgeiz in mir auf, die Erste zu sein. Glorie ließ sich in der Universität selten blicken, selbst wenn sie gut beieinander war.
Sie hatte einen bekannten Maler kennengelernt, der ihr Zutritt zur Akademie der Künste verschaffte. Ihre Leidenschaft für die Malerei war nicht neu, nun konnte Glorie sie endlich ausleben. Ihre Phantasie, wie es sich zeigte, war ohne Grenzen. Nach der Trennung von Fred war mir hundeelend zu Mute, aber Glorie vergalt mir den Verlust hundertfach: Sie zeigte sich in dieser Zeit als die entzückendste Freundin, die ich mir denken konnte. Sie strahlte mich mit ihrer umwerfenden glänzenden Schönheit an, überhäufte mich mit Geschenken und umarmte mich bei jeder Gelegenheit. Sie belohnte mich. Es war eine Auszeichnung, ihre Freundin zu sein.
Aber der Preis dafür war mein irischer Rotkopf.
Dann kam der große Absturz, ihr erster großer Absturz, muss man sagen: Glorie wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, ein Sanatorium, eine Klinik, wie man auch immer diese Institution nennen möchte, diese Geißel Gottes. Genau der Schritt, vor dem wir uns so gefürchtet hatten. Ambulant war sie bei ihren manischen Zuständen nicht mehr zu behandeln, da das Risiko viel zu groß war. Jeden Tag, jede Stunde konnte etwas passieren. Die Ärzte behaupteten übereinstimmend, sie müsste vor sich selbst geschützt werden. Ein Psychologe, ein junger Mann mit flackerndem Blick und gebeugter Haltung, steigerte sich in seinem Eifer in die unmögliche Behauptung, auch die Welt müsste vor Glorie geschützt werden. Als er mir das eiskalt ins Gesicht sagte, flippte ich aus und schrie ihn an, er täte gut daran, mir gegenüber sich vorsichtiger auszudrücken, sonst müsse nicht die Welt vor Glorie geschützt werden, sondern er vor mir.
Es waren schlimme Tage, Ann und Albert konnte ich nicht in die Augen sehen. Nach einem Anfall, einer Art Ausbruchsversuch, wurde Glorie von ihren Pflegern an ihr Bett gebunden, mit Spritzen ruhig gestellt. Wir durften nicht zu ihr, das zog sich über Tage hin, während die Zeit still stand, sich nichts mehr bewegte. Die Ärzte hatten uns jede Verantwortung entzogen. Ich dachte, >schlimmer als der Tod<.«
Albert, der eben noch mit halb geschlossenen Augen auf seinem Sessel gesessen und ruhig gelauscht hatte, sprang jäh auf, der kleine Tisch an seiner Seite mit den Büchern und Zeitschriften fiel polternd zu Boden:
»Nein, nein, Du lügst!« gellte seine sich überschlagende Stimme.
»Es war niemals so! Niemand hat sie festgebunden. Nur mit diesem Versprechen der Ärzte war ich bereit, die Anstalt zu verlassen. Sonst hätte ich ihr Tag und Nacht die Hand gehalten, sogar an ihrer Seite geschlafen.«
Mit aufgeregten tänzelnden Schritten war er im Zimmer hin- und hergetippelt, die zitternden Hände wie zum Gebet vor seinen Körper haltend. Lena bückte sich, hob die Bücher und Zeitschriften vom Boden, während Christie wie teilnahmslos zum Licht starrte. Als sich Albert erschöpft in seinen Sessel fallen ließ, sagte sie leise, wie zu sich selbst:
»Verzeiht mir, verzeiht . . .«
Christie warf den Kopf zur Seite, versuchte ein Lächeln, keuchte:
»Nein, nein, ich bin es, der um Verzeihung . . .«
Lena richtete sich auf, erhob die Rechte zur halben Höhe und rief mit ihrer dunklen, eindringlichen
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