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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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Schwestern, er wäre mein Bruder. Unsere Haare waren sich in der Tat zum Verwechseln ähnlich, genauso wie bei Glorie. So wurde er mein Bruder. Er erzählte, dass er Cayman sehr bald nach dem Vorfall verlassen hatte. Es drängte ihn fort. Er gab seinen Beruf als Tauchlehrer auf, versuchte sich noch einmal auf den Malediven, aber es half nichts: Glorie und ihr Ende wichen nicht aus seinen Gedanken. Er zog durch die Welt, durchkreuzte Indien vom Norden, von weit oben bis in den tiefen Süden, reiste an die Strände, die Buchten, die Sümpfe von Kerala.
    Einige Wochen lang half er mit auf unserer Station, erneuerte Verbände, verabreichte Medikamente, arbeitete in der Küche. Eines Tages fragte er mich:
    >Wollen wir nicht zusammenbleiben?<
    >Wie soll das gehen, George?> antwortete ich. >Ich kann Dir niemanden ersetzen.<
    >Nein, Christie, ich meine als Bruder und Schwester.<
    >Gut>, sagte ich, >wenn Du willst.<
    Die Wochen verstrichen. In der Nacht vor seinem Abschied schliefen wir miteinander. Keiner hatte es geplant, es geschah einfach. Unsere Körper fanden zueinander, hatten sich offenbar ohne unser Hinzutun verabredet. Es war eine wunderbare Nacht, halb Traum, halb Wirklichkeit. Als er in mich eindrang, liefen mir die Tränen über das Gesicht. Wir lagen in einem weiten Zelt unter einem Moskitonetz, draußen das befremdliche Gekrächze von Vögeln in der Nacht, ganz nah. Die gemeinsame Trauer hatte uns zusammengeführt. Dann irgendwelche Rufe in der Weite, das Fauchen von Tieren. Was ging es uns an! Keine Minute ließen wir voneinander, mein Körper glühte. Es wurde schon hell, als wir endlich einschliefen, völlig entkräftet, wie nach einem langen, siegreichen Kampf. War Glorie bei uns, obwohl keine Gedanken an sie sich in meinem Kopf einfanden? Ich glaube wohl.
    Sie war immer bei uns, wenn wir zusammen waren.
    Dann träumte ich von ihr, am Rande der Wüste träumte ich von der Tiefe des Meeres. Aber es war ein schöner Traum, alles war friedlich, die Fische, die Korallen, die schlingenden grünen Gewächse, glitschig und glänzend, an dem bröckelnden Stein. Als ich aufwachte, küsste er mich noch einmal. Dann war er fort.
    Später ist sein Vater gestorben und er übernahm in Australien den Hof, nicht weit von der Küste. Er rief mich aufgeregt von unten an:
    >Vielleicht kommst Du mich besuchen. Es ist schön hier. Es wird Dir gefallen.<
    Meine Antwort: >Lass uns sehen. Ein Besuch, ja . . .<
    >Vielleicht auch für länger. Komm in die neue Welt!<
    >Wie stellst Du Dir das vor? Was soll ich da?<
    >Ärzte braucht es doch überall. Ich meine, vielleicht später, vielleicht irgendwann ist es möglich . . .<
    >Was?<
    >Na, dass wir Kinder bekommene
    >Kinder?> Dann lachte ich:     Mehr sagte ich nicht.«
    Dann kam der Tag des Abschiednehmens. Das Flugzeug wartete auf Christie. Sie hatten nur noch wenige Stunden. Beim Frühstück sagte sie:
    »Albert, Du hast mich gestern gefragt, wo Du mit Deiner Liebe hinsollst? Warum fährst Du nicht ans Meer. Das ist doch nicht so weit?«
    »Ans Meer? Warum dahin?«
    »Dort liegt Deine Tochter begraben. Andere Leute gehen zum Friedhof, schmücken ein Grab. Warum wirfst Du nicht einen Strauß Blumen in das Wasser. Die Wellen werden ihn wegspülen.«
    »Soll ich das?«
    »Das Meer ist der größte Friedhof auf Erden. Stell Dich an eine Küste, wirf die Blumen in das Wasser und Du wirfst sie auf das Grab von Glorie.«
    Beim Abschied küssten sie sich, Albert küsste ihr mitten auf den Mund, so wie er immer seine Tochter geküsst hatte. Dabei stammelte er: »Danke.«
    Er und Lena winkten dem Wagen nach, der langsam den schmalen Weg zum Hügel hinaufrollte, zum Waldrand, wo sie so oft in diesen Tagen gewandert waren. Dort entschwand das Auto im aufgewirbelten Staub der Straße langsam ihren Blicken.
    Albert stand neben Lena. Christie war fort, Christie, die seit Kindesbeinen um ihn war, sie, gleichsam die Schwester von Glorie.
    Sie, beinahe ein Stück von ihm. Sie, der er so dankbar war nach diesen Tagen, jetzt, wo er endlich die Wahrheit über das Ende seiner Tochter erfahren hatte. Aber Lena, ihre Mutter? Jetzt, wo die Tochter fort war, erschien sie ihm wie eine Fremde. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte, was er sagen sollte. War es nicht auch für ihn an der Zeit, zu verschwinden? Warum war er nicht mit Christie aufgebrochen? Unschlüssig nahm er seinen Weg hinter ihr auf, die langsam gemessenen Schritts, ganz in sich versunken in Richtung

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