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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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eine Rose (rot), einmal ein Buch von Diderot, das Les bijoux indiscrets hieß und in dem die Vaginas von Herzoginnen und Marquisen miteinander kundige Gespräche über die Vorzüge und Schwächen der Penisse ihrer Männer führten – alle kannten alle –, während diese Männer, ohne das wiehernde Gelächter aus dem Untergrund zu hören, anmutig mit ihren Damen plauderten, deren Münder höflich lächelten. Das gefiel Brigitte, da war ich mir sicher. Scharfe Sachen, solange sie sie nicht mit mir tun musste, machten sie an, besonders wenn sie im Gewand des dix-huitième daherkamen. – Sie kam aber doch zuweilen mit mir essen. Ich bezahlte, ich hatte jetzt (meine Schule) mehr Geld als sie. (Sie machte Jagd auf ihre zweite Agrégation und schrieb am Anmerkungsapparat ihrer Maler-Nolten-Studie.) In einem Renommierlokal in der Nähe der Opéra bestellten wir Austern. Der Kellner nahm die Bestellung mit der Miene eines Vicomte auf, der zu seinem Vergnügen am Abend ein bisschen kellnert, verließ würdig wie ein Marquis das Lokal, ging gewiss wie ein Duc de Bourgogne über die Straße – wir sahen ihn durchs Fenster –, kaufte die Austern an einem Stand auf dem gegenüberliegenden Trottoir, kam mit der Sicherheit eines Prince de Galles über die Straße zurück – die Autos fegten vor und hinter ihm vorbei, und dann sahen wir nur sein hocherhobenes Tablett über den Autodächern – und servierte uns die Austern mit der absoluten courtoisie eines Roi de France. Drüben hatten sie 5   Francs gekostet, nun 80. Wir schlürften sie mit umso größerer Begeisterung und tranken recht viel Chablis dazu. – Einmal kam Brigitte auch zu den Frères Jacques mit, die im Olympia auftraten. La violoncelliste, Le petit homard. Es war ein sehr gutes Konzert, und wir klatschten begeistert. Nachher gingen wir die Champs-Élysées bis zur Étoile hinauf, und es war eine zarte Weile so, als seien wir wieder so etwas wie ein verliebtes Paar. Ein milder Herbstabend. Als wir an der Étoile angekommen waren, wollte Brigitte aber nicht, dass ich sie auch noch bis nach Hause begleitete. Sie gab mir einen schnellen Kuss und verschwand im Treppenschacht der Metro. Hob noch einmal die Hand, ohne sich umzudrehen, und verschwand aus meinem Leben.
    ES war aussichtslos, das war mir schon klar. Ich gab mir redlich Mühe, andere Frauen kennenzulernen, und war nicht einmal besonders wählerisch. Es gab für Studenten – ich war ja einer – klassische Jagdgebiete, etwa das Portal der Alliance française, wo junge Damen aus Deutschland, England oder Schweden Französisch zu lernen versuchten. Sie waren alle fern der Heimat und einsam. Ich lungerte auch ein paarmal dort herum, unentschlossen, denn draguer (das war das Fachwort für die Bemühungen, eine Frau fürs Bett oder Leben zu finden) war nicht meine Stärke. Da musste man schnell, frech, klug, lustig, unverfroren, potent und aus Paris sein. Einmal, eine, die sprach ich tatsächlich im Café gegenüber der Alliance an, sie erwies sich als heiter und plauderlustig und kam nach dem dritten Glas mit mir. Aber kaum waren wir draußen auf dem Trottoir, im erstmöglichen Schlagschatten einer Plakatsäule, warf sie sich gegen mich, wühlte ihre Lippen in meine und packte gleichzeitig mit einer Hand meinen Sack mit einer solchen Kraft, dass ich »Aïe!« rief. (Ein Pariser sogar im Schmerz.) Das war es dann doch nicht, das war mir zu viel. Ich verabschiedete mich mitten aus der Umschlingung heraus und entriss mein Gemächt ihrer Pranke. – Eine Weile lang begleitete ich eine Studienkollegin zum Bahnhof Saint-Lazare. Sie hieß Denise und antwortete freundlich, wenn ich sie etwas fragte. Aber immer, durch nichts abzulenken, bestieg sie ihre Vorortsbahn, und ich trottete allein nach Hause. Nie sprang ich, wie einst mein Vater, jäh in den abfahrenden Zug und wurde dafür belohnt. – Eine andere, eine blonde Schönheit aus Hamburg, lud ich ins ›Blue note‹ ein, das Jazzlokal Europas. Statt, wie erwartet, Dexter Gordon, spielte Claude Luther mit seiner Dixieland-Band, was wir, nach der ersten Enttäuschung, auch wunderbar fanden. Wir tanzten, bald einmal Wange an Wange. Die Rechnung fraß meinen ganzen Monatslohn auf. Ich begleitete sie durch den Boulevard Saint-Germain nach Hause. Wir sprachen von Count Basie, Charly Parker und dass ich, 1954, den wirklichen Louis Armstrong gehört hatte und in Tränen ausgebrochen war, als er den Melancholy Blues zu spielen begann. Vielleicht war sie sogar eine von

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