Reise zum Rand des Universums (German Edition)
Schlepp, und jedes Mal beschwor ihn die Mutter, doch einen Zopf für eins fünfzig zu kaufen. Jeden Samstag kaufte er einen für drei Franken, von dem dann die Hälfte übrigblieb. [ Darum sagte und glaubte ich bald selber, dass ich Butterzopf nicht möge. Ich half meiner Mutter. Wenn ich nicht mitaß, musste mein Vater doch den billigeren Zopf kaufen. Nur, das tat er dann doch nicht, nie, und ich musste dabei bleiben, dass mir Butterzopf überhaupt nicht schmeckte.] Ich war auch nicht eifersüchtig, dass Nora ihren Zopf jeden Sonntagmorgen in Papis Bett liegend aß, mit dem Papa schnatternd, der am Schreibtisch saß und Kaffee trank.) – Sie war eine gute Köchin, meine Mutter. Weil mein Vater der schlechteste Esser war, der mir je begegnet ist – er mochte eigentlich, neben den Butterzöpfen, nur seinen Emmentaler und schier rohes, bluttriefendes Fleisch –, und weil Nora, kaum konnte sie einen Löffel in der Hand halten, ihm alles nachmachte, wurde ich ein begeisterter Anhänger der Kochkunst meiner Mutter. Ich aß alles, was sie auftischte. Ich aß für sie, und sie lächelte mich dankbar an, wenn ich eine zweite Portion Blumenkohl wollte, obwohl Blumenkohl just nicht zu meinen Favoriten gehörte. Sie machte es mir leicht, von ihrer Kunst hingerissen zu sein. Ihre Spaghetti alla bolognese schmeckten herrlich, auch wenn die beiden Essmuffel das nicht bemerkten. Papi hielt sich, des Knoblauchs wegen, die Nase zu, und Nora tat es ihm sofort nach. Wenn es einen Safranrisotto mit Pilzen drin gab, schoben Papi und Nora diese auf den Tellerrand. Ihre ausgehöhlten Zucchini, in denen eine Hackfleischfüllung war, aßen auch nur meine Mutter und ich mit Leidenschaft. Papi mochte kein Hackfleisch und Nora keine Zucchini. Meine Mutter kochte sogar, vielleicht gegen ihre eigenen Überzeugungen, Grießpudding, über den ich Himbeersirup gießen durfte. Papi bewegte seinen Teller so, dass der Pudding wackelte und zitterte, und sagte zu ihm: »Keine Angst, ich esse dich nicht.« Nora aß ihren dann doch.
DAMIT waren die Rollen in der Familie fürs ganze Leben verteilt. Nora gehörte zum Vater. Ich zur Mutter. Sigmund Freud hätte seine Freude an uns gehabt; wir lebten, ohne es zu ahnen, nach seinem Drehbuch. Als wir bald einmal zu jassen begannen – einen Schieber; wir waren ja zu viert –, spielten immer Nora und Papi zusammen und ich mit meiner Mutter. Nora und Papi schummelten, dass es nur so krachte – Augenzwinkern, Karten zeigen, falsch anschreiben –, und ich schämte mich dafür, dass meine Mutter nie etwas bemerkte. Nie. Papi konnte eine Sechs mit einem Ass vertauschen oder den Trumpf-Buben, der längst gelaufen war, zum zweiten Mal spielen: hoffnungslos. Sie sah es nicht, saß in ihrer leuchtenden Unschuld da und ahnte nicht, wie tückisch die Welt war. Die beiden Betrüger lachten heiter. – Wenn dann die Zimmerschlachten der Eltern im Schlafzimmer tobten – wir hörten jedes Wort; meine Mutter flüsterte so laut, dass es wie ein ersticktes Schreien klang, und mein Vater schwieg erst und brüllte dann –, war uns beiden klar, dass Nora mit dem Vater mitging und ich mit der Mutter. Das war mein Schicksal, das wäre mein Schicksal geworden, das ich – verzweifelt gewiss, aber widerspruchslos – angenommen hätte.
EIN Wort noch zu ihrem Reden. Sie diskutierte, wenn es ihr schlechtzugehen drohte, mit unsichtbaren Wesen, das sagte ich schon. Ein flehendes Wispern, ein beschwörendes Zischeln, das, wenn sie in der Küche und ich im Kinderzimmer war, wie ein Rascheln von Laub klang. Das tat sie nun aber weniger als vor ihrer ersten Krise. Nur noch, wenn sie sich ganz allein glaubte. Umso mehr sprach sie dafür mit jedem, der in ihre Nähe kam. Vater, Nora, ich, der Milchmann. Sie redete so etwas wie immer. Immer und laut. Sie brauchte nicht einmal eine Nähe. Wenn sie mit Erwin im Garten war – dieser bei den Tomaten, sie in den Kartoffeln –, sprach sie quer über die ganze Plantage hinweg und störte sich auch nicht daran, dass Erwin kaum antwortete. Andrerseits hatte sie die Neigung, beim Reden zu nahe zu stehen, so dass ich, während sie sprach, bald einmal einen Schritt zurücktrat und noch einen. Sie folgte mir, wenn’s sein musste, durch die ganze Wohnung. Sprach und sprach. Obwohl ihr Mund mein Ohr immer wieder einholte, wurde ihre Stimme mit jedem Schritt lauter. Das Ende eines Gesprächs war nur durch eine vollständige Unterwerfung zu erreichen. »Ja, Mami.« Wenn ich ihr recht gab, in allem
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