Reise zum Rand des Universums (German Edition)
und still. Über dem Tisch brannte eine altehrwürdige Ölfunzel. Abseits im Schatten saß eine alte Dame. Ich hatte ihr die Hand gegeben, sogar so etwas wie einen Kuss gekriegt, begriff aber nicht, wer sie war. Die andern fanden die Dame abseits jedenfalls nicht ungewöhnlich. Mit Guido an einem Tisch sitzen zu dürfen, ja zu spüren, dass er uns an diesem Abend um sich brauchte, war eine hohe Ehre, die uns, mag sein, in all den kommenden Jahren nie mehr zuteilwurde. – An diesem Abend wollte er die Berninastraße ausbauen, asphaltieren und wintersicher machen (Papi schaute skeptisch), La Rösa in eine touristische Attraktion mit einem Schwimmbad und einem Erstklasshotel verwandeln (sogar meine Mutter war entsetzt) und, das dominierende Thema an diesem Abend, einen Bundesrat dazu überreden, sein Weingut im Veltlin zu besuchen. (Es hieß La Gatta und hatte zwei Katzen im Wappen.) Der Bundesrat kreuzte tatsächlich im gleichen Sommer noch in La Gatta auf. Ich hatte erwartet, dass er stolz war, von Guido empfangen zu werden. Aber es war umgekehrt. Guido katzbuckelte so sehr vor ihm – anders als seine stolz aufgerichteten Wappentiere –, dass sogar ich es aus seinem Bericht heraushörte. Er beschrieb immer erneut, wie der Bundesrat einen Schluck von seinem 38er San Domenico getrunken hatte, dem Besten, was sein Keller hergab, und mit der Zunge geschnalzt hatte. Er kostete auch den Grappa, gleich mehrere Male, wenn wir Guido glauben durften. Zum Beweis zeigte er uns sogar ein Foto, auf dem wir den Bundesrat von schräg hinten sahen, mit einem Glas in der Hand, und in die Kamera strahlend Guido, wie er, am Bundesrat vorbei, die Etikette der Flasche dem Fotografen und uns Betrachtern zeigte.
NOCH mehr als Guidos göttergleiche Autorität bewunderte ich aber sein Auto. Gleich, sofort, wie es mächtig vor dem Haus stand und vor Hitze dampfte. Es war ein Jaguar, ein damals schon ehrwürdig alter Jaguar, dessen Kühlergrill dem Gatter eines mittelalterlichen Burgtors glich. Ich strich, während Guido den Erwachsenen noch die neuesten Nachrichten aus dem Tal zuflüsterte, bereits um sein Auto herum. Es roch nach Öl, Benzin und dem fernen Britannien. Ein Armaturenbrett aus Edelhölzern, Sitze aus einem braunen Leder, ein Lenkrad mit einer ebenholzfarbenen Mitte, die die Hupe war, mit einem springenden Katzentier geschmückt. Einem Jaguar doch wohl. Das Nummernschild allein schon bewies, dass Guido zur Aristokratie des Kantons gehörte. GR 16. Grigioni sedici. (Meine Zimmernummer im Haus; auch das sah ich als ein Zeichen.) Warum mein Vater lachte, als er das sah, begriff ich erst später. Sedici heißt nicht nur sechzehn, es heißt auch Scheißhaus. – Mein Gott, das war ein Auto! Es stellte sogar Onkel Erwins Wanderer in den Schatten, der auch schon zweifarbig gewesen war: auch er, wie Guidos Jaguar, lindgrün mit olivfarbenen Kotflügeln. Auch der Jaguar hatte Weißwandreifen, wie einst Erwins Cabrio. Aber er war eine Limousine und rechtsgesteuert, weil englische Autos ihr Lenkrad auf der rechten Seite hatten und weil Guido das für die einzig geeignete Art hielt, die steile und schmale Passstraße hinaufzufahren. Es war seine Entscheidung, das Steuer rechts zu haben, und als mein Papa sagte, es gebe ja gar keine linksgesteuerten Jaguars, schaute er ihn aus leeren Augen an. Wie auch immer, so sah er den Straßenrand, den Abgrund und die Felsen besser als einer, der links sitzen musste. (In der Tat hatte auch der Postbus von damals, ein Saurer, sein Steuerrad auf der rechten Seite.) – Gleich am nächsten Morgen durfte ich Guido auf einer seiner Good-will- Touren ins Engadin begleiten. Er hatte die Angewohnheit, alle paar Wochen bei seinen besten Kunden vorbeizuschauen – im Steffani, im Misani, im Müller –, ohne ihnen etwas verkaufen zu wollen, nur so zu einer kleinen Plauderei bei einem Glas La Gatta oder Grumello, zu so vielen Plaudereien im Lauf dieses Tags in der Tat, dass er den Jaguar am Abend in würdiger Trunkenheit über den Pass zurück nach La Rösa steuerte. Ich, nüchtern, saß neben ihm, auch jetzt noch völlig begeistert. Wie er das Lenkrad sacht und unaufgeregt drehte! Der Motor war kaum zu hören. Und entgegenkommende Autos verkrümelten sich angesichts unserer britischen Majestät in den Straßengraben.
DIE Dame im Nachtschatten war Guidos Frau. Elsa. Sie war die Silhouette gewesen, die am Fenster des ersten Stocks – da, wo wir jetzt waren – eine Hand gehoben hatte, als Guido ihr zuwinkte.
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