Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
Vom Netzwerk:
Küche, mit einer über dem Tisch baumelnden Leuchte, zu der hin, der Wand und der Decke entlang, ein Gummischlauch führte, der an eine rotbemalte und trotzdem rostige Butangasflasche angeschlossen war. Das Licht anzuzünden war auch später, nicht nur bei diesem ersten Mal, eine Mutprobe, denn das Gas entzündete sich immer erst nach einer langen Weile, dafür aber mit einem heftigen Wummern. Meine Mutter floh mit einem Sprung, auch weil das Streichholz in ihrer Hand ihre Finger ansengte. Außer meiner Mutter traute sich keiner, die Lampe anzuzünden. Sie gab zwar ein helles Licht, dieses war aber das Einzige in der ganzen Wohnung. Für alle andern Zimmer brauchten wir Kerzen, die wir in Haltern aus Blech vor uns hertrugen. – Meine Mutter zündete im Holzherd ein Feuer an – Brennholz lag in einer Kiste bereit –, während wir andern, jeder auf seine Art verzweifelt, hin und her stampften, damit uns die Füße nicht abfroren. Als wir endlich dachten, nun sei’s doch ein bisschen wärmer geworden, die Mäntel, Halstücher, Handschuhe und Mützen auszogen und uns an den Küchentisch setzten, stieß mein Vater den Eimer um, dessen Wasser sich über den Boden ergoss. Es gefror auf der Stelle. Blankeis. Wir fanden es nun doch nicht so warm und begannen erneut, die Arme gegen unsere Körper zu schlagen. – Irgendwie kriegte meine Mutter die Küche dann doch warm. Sie kochte Spaghetti, während wir am Tisch saßen und der Papa schon wieder versöhnt rauchte. Spaghetti alla bolognese, sie hatte sogar das Hackfleisch im Rucksack mitgenommen. Sie hantierte mit den Ringen der Herdplatten so virtuos herum, als habe sie das ein Leben lang gemacht. Die Flammen schossen in die Höhe, sanken wieder in sich zusammen. Das Knacken und Krachen des brennenden Holzes. Der Geruch. Am Ende des Essens waren wir alle beinah so etwas wie fröhlich, schließlich waren ja Ferien, und ein Rotwein für die Großen war auch da. Nun war auch Lea aufgetaucht, und mit ihr ihr Lachen. Auch sie trank ein, zwei Gläser; eher drei. Vielleicht hatte sogar Delia kurz hereingeschaut, aber wenn, hatte sie Lea kaum eines Blickes gewürdigt und den Wein abgelehnt. – Wir gingen ins Bett, Nora in dieses Zimmer, Mami und Papi in jenes, und ich in ein drittes, auf dessen Tür eine 16 stand, denn unser Haus war früher einmal ein Gasthof gewesen. Wenn ich mit meiner Kerze da- und dorthin leuchtete, sprangen die Schatten von Monstern und Räubern über die Wände. Es war schwer einzusehen, dass ich das war. Das Bett war mächtig und so hoch, dass ich hinaufklettern musste. Die Leintücher knirschten, als seien sie gefroren, und fühlten sich auch eisig an. Kissen für Riesen und ein turmhohes Deckbett, das eine Tonne wog. Ich ließ die Kerze brennen und rang, kann sein, in der Nacht nach Atem, weil die Flamme mir allen Sauerstoff wegfraß. Draußen noch eine Weile lang das Heulen des Winds. Dann schlief ich ein.
    AM nächsten Morgen war der Himmel blau. Eine helle Sonne und eine Luft, die die Lungen liebkoste. Die Berge strahlten, und die Wiesen glänzten. Es war das Licht für die Erwählten. Für uns. In meiner Erinnerung gab und gibt es fortan nur dieses frische Leuchten. In den Nächten so viele Sterne am Himmel, dass es gewiss alle waren. Das gesamte Universum über uns, bis in seine fernsten Tiefen. Die Galaxien überlagerten sich. Ich sah durch die näheren hindurch die Signale der ferneren, hinter der blass eine noch entferntere schimmerte. Dahinter, gerade noch zu sehen, der Schein des Urknalls. Sternschnuppen rasten über den Vordergrund, während wir zur grande curva hinabbummelten, zur großen Kurve der Passstraße, die der magische Umkehrort für unsere Spaziergänge war, wenn wir Lust auf die Nacht hatten, auf den Mond, auf die schwarzblauen Silhouetten der Berge. Vorne, zu dritt untergehakt und – wenn wir nicht schnatterten – Addio la caserma oder Quattro cavai che trottano singend, Mami, Lea und ich, und hinter uns, in ihre eigenen Gespräche vertieft, zuweilen auch Papi, der nachtblind war und Noras Hand hielt, als sei sie seine kleine Antigone. Kaum je Delia. (Wir spazierten auf der Passstraße, weil nie ein Auto kam. Mach das mal heute! Sogar tagsüber waren die Autos so selten, dass jeder, der eins kommen sah, »Auto!« rief und wir alle, auch Papi, an die Fenster stürzten, um dem Wunder nachzuschauen.) – Am Tag Sonne. Eisenhut und Enziane, Arven und Lärchen, an deren Fuß Alpenrosen wuchsen (am Beginn der Ferien) und

Weitere Kostenlose Bücher