Reise zum Rand des Universums (German Edition)
Sicherheit des Hauses nicht zu trauen.) – Einmal allerdings war die ganze Familie Anne-Maries zu irgendeiner Wanderung aufgebrochen, für den gesamten Tag, und so war ich bei ihr in ihrem Zimmer. Wir redeten und küssten uns und lagen bald nebeneinander auf dem Bett. Wir sahen uns zum ersten Mal ohne Kleider, und ich inspizierte ihre Nacktheit mit heiligem Eifer. Ihre kleinen Brüstchen. Ihren Bauch. Sie öffnete die Beine ohne jede Scham, ich schaute und schaute, und sie staunte meinen Schwanz an, der stand wie ein Pfahl. Sie beugte sich just über mich, um mich zu küssen – ich lag auf dem Rücken –, als unten im Parterre die Tür aufging und der ganze Klan ins Haus hineinrumpelte. (Irgendetwas war schiefgegangen unterwegs, Regen, oder der Papa bzw. der Bruder, Peter, der um ein Jahrhundert älter als Anne-Marie wirkte, obwohl er ihr nicht mehr als fünf Jahre voraus war. Beide, Vater und Sohn, neigten zu einem sonderbaren Verhalten.) Noch nie hatte ich meine Kleider so schnell angezogen wie ich es nun tat, und Anne-Marie war sogar noch flinker als ich. Sie war in ungefähr zehn Sekunden tipptopp gekleidet und konnte ins Untergeschoss hinabzwitschern, was denn los sei. Mein Schwanz brauchte allerdings eine Weile, um sich zu beruhigen. So wartete ich ein Viertelstündchen, bis ich mich auch zeigte. Aber die Familie, unter dem Eindruck des Platzregens oder eventuell des bizarren Verhaltens Peters oder des Vaters, hatte keine Augen für mich. – Anne-Marie war sich bald sicher, dass wir Kinder haben würden, bälder als bald. Wenn es ein Sohn wäre, das Kind, würde er Stefan heißen. Sie sprach gern davon und malte sich und mir die Schönheiten des Familienlebens aus. Wir standen auch vor Schaufenstern von Möbelhäusern und sahen uns Betten und Fauteuils an. Küchentische. Dass mir das nicht so gefiel, merkte ich nicht und wusste es doch. (Ja, auch dies noch: Einmal blieb bei Anne-Marie die Monatsblutung aus, und wir gerieten beide in Panik, dass sie schwanger sein könnte. In meiner Not ging ich zu meinem Vater – er saß an seiner Schreibmaschine – und fragte ihn, ob eine Frau auch schwanger werden könne, wenn der Mann nur mit seinen Fingern etc., an denen ja Sperma sein könnte usw., und mein Vater kriegte einen roten Schädel und brach in einen Schweiß aus, der sein Gesicht förmlich überschwemmte, so dass ich das Zimmer verließ, ohne eine endgültige Antwort bekommen zu haben. Die Regel Anne-Maries funktionierte dann doch noch, und wir vergaßen den Vorfall.) – Im Sommer 1956 luden mich Anne-Maries Eltern ein, mit ihnen in die Ferien zu kommen. Sie hatten ein Haus in Cannes gemietet, und Südfrankreich, das Land Cézannes, Fernandels und Pagnols, war für mich das Herrlichste überhaupt. Im Zug schlief Anne-Marie an meiner Schulter, und ihre Mutter, die uns gegenübersaß, stieß kleine gerührte Schreie aus, während sie ihrer leise schnarchenden Tochter zusah. Der Vater neben der Mutter wie ein Stein. – In Cannes genoss ich das Strandleben. Ich schwamm in den gischtenden Brechern, und einmal erwischte mich eine sich überschlagende Welle so, dass sie mich mitwirbelte und mir die Badehose wegriss. Ich hüpfte den Strand entlang und versuchte, die entlaufene Hose wieder einzufangen. Alle, die mich sahen, lachten herzlich, und auch Anne-Marie freute sich, belustigt und stolz, dass jeder sehen konnte, dass ich und meine ganze Nacktheit ihr, nur ihr gehörten. – Einmal auch biss mich eine Qualle, und mein Unterarm schwoll so an, dass ich zu einem Arzt gehen musste, einem Doktor für Reiche – so sah ich das –, denn er sah mich verachtungsvoll an und wollte für eine simple Spritze fünfzig Francs haben. – Ich versuchte auch, in einer jähen Euphorie, einen Raum zu mieten, der über einer Garage lag, völlig verdreckt und heiß wie ein Hochofen war. Ich wollte diese Hinterhofhöhle unbedingt (obwohl ich noch kaum eine Woche in Cannes vor mir und keine Ahnung hatte, ob, wann und wie ich je zurückkehren konnte), denn ich wusste plötzlich, dass ich einen Roman schreiben wollte, hier, in dieser südlichen Glut. AnneMarie schaute ratlos, und die Vermieterin, eine lebenskluge ältere Frau, redete mir den Plan aus. – Dann kam der letzte Abend, die letzte Nacht. Ich musste vor Anne-Marie und ihrer Familie nach Basel zurückfahren, weil ich ein Aufgebot für die Rekrutenschule in der Tasche hatte. (Ich hatte die Absicht gehabt, mich bei der Aushebung so tölpelig wie nur möglich anzustellen,
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