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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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auch – brachten, wenn’s ein Essen gab, Fleisch, Gemüse und Wein mit, und er fuhrwerkte virtuos mit einem halben Dutzend Pfannen auf einem Herd mit zwei Feuerlöchern herum, den er mit dem Holz betrieb, das er auf dem Nachhauseweg mit dem Mofa einsammelte; oder wenn er mit seiner Staffelei unterwegs war. Man sah ihn selten ohne ein paar Äste oder eine Olivenbaumwurzel unterm Arm. Der Held der großartigsten dieser bezaubernden Nächte – wir waren zehn oder mehr Gäste – wurde aber nicht er, sondern ein Ungar, ein echter Ungar aus Szegett, der irgendwie auch in dem Haus in den Reben gelandet war (er war weder Maler noch schien er Walo besonders gut zu kennen) und für uns das Gulasch seiner Heimatstadt kochte, tatsächlich das Gulasch aller Gulaschs, ganz anders und unendlich viel besser als die, die ich bis anhin gegessen hatte. Allein der Paprika! (Ja, den Paprika hatte er aus Ungarn mitgebracht!) Applaus im Stehen für den Gastkoch, bei dem Walo am lautesten klatschte. Es wurde ein heftiger Abend, viel Rotwein, viel Gelächter. Manche, die das tagsüber keineswegs taten, küssten sich. Lange nach Mitternacht – eher gegen Morgen schon – brach ich auf. Der Ungar, der irgendwo im Stadtzentrum untergebracht war und noch mehr als wir andern getrunken hatte, setzte sich auf den Soziussitz meiner Vespa. Die Freundinnen und Freunde, die noch da waren, riefen ein paar Abschiedswitze, und ich drehte eine Ehrenrunde um den Esstisch herum. Es war eine Vollmondnacht, und ich war angedudelt genug, ohne den Schutz und die Hilfe eines follow-me fahren zu können. (Auch kam auf diesem Sträßchen, auf dem schon tagsüber kaum jemand fuhr, sowieso kein Auto.) Wir rollten also munter dahin. Ich glaube, wir sangen, oder ich sang. Die schöne Julika aus Budapest oder Einsamer Sonntag. Der Ungar grunzte eher und hielt sich, um nicht herabzufallen, bald fester an mir. Er umschlang mich und legte seinen Kopf an meinen Rücken. Vielleicht schlief er, oder sein Schädel schlief, denn seine Hände waren hellwach und wanderten an mir herab. Brust, Bauch, und schon war er zwischen meinen Beinen. Ich rief »Non!« und »Enfin, arrête!« – so viel Französisch verstand er – und haute ihm mit meiner Kupplungshand auf die Finger. Als ihn das nicht aufhielt, nicht im Geringsten, stieg ich brüsk auf die Bremse, drehte mich um und schubste ihn auf die Straße. Da stand er, leise schwankend, ohne recht zu begreifen. Ich fuhr ohne einen Abschied weiter. Der Mond leuchtete mir auch jetzt. Der hitzige Ungar sah später gewiss auch die aufgehende Sonne, denn er hatte, als ich ihn verließ, noch so etwas wie zwei Stunden Weg vor sich. Oder legte er sich zwischen die Reben am Straßenrand und schlief dort seinen Rausch aus?
    Walo führte mich in den Schachklub von Montpellier ein. Er spielte gern Schach, gut vermutlich, und sagte, als ich andeutete, dass ich gerade wisse, wie die Figuren gingen, und sonst kaum etwas, das mache nichts, überhaupt nichts, denn es gehe darum, dass der Jahresbeitrag zwar zwanzig Francs koste, dass aber am nächsten Wochenende schon das alljährliche von einem reichen Mitglied gestiftete Festessen des Klubs stattfinde, das, Getränke nicht mitgerechnet, allein schon das Doppelte wert sei. Tatsächlich gab es in einem Restaurant, das weit draußen vor der Stadt stand und im Schilfmoor der nahen Lagune zu versinken schien, ein Menü mit unzähligen Gängen. Das Beste vom Besten. Hummer, Crevetten, moules, Austern und Seeigel. Mit dem letzten Bissen im Mund zückten alle Teilnehmer – alle gleichzeitig, als gehorchten sie einem Befehl, den ich nicht gehört hatte – ihr Taschenschach und spielten mit ihrem Gegenüber eine Partie, in der sie die ersten zehn Züge so schnell hinter sich brachten, dass ich ihre Finger kaum sah. Auch Walo hatte sein Taschenschach, und ich durfte sein Gegner sein. (Er wusste offenkundig, wie der Abend ablaufen würde, und hatte mich auf den richtigen Stuhl gesetzt.) Ich brauchte für die ersten fünf Züge zehn Minuten, aber Walo war bester Laune und ließ mich erst spät in eine der Fallen laufen, die ich nicht gesehen hatte. – So ging das, viele Wochen lang. Bis zum Ende meines Aufenthalts in Montpellier. Ich war heiter, und Walo war es auch. Er schaute allenfalls dann nachdenklich, wenn wir wieder einmal eine seiner Verkaufsausstellungen in Palavas-les-Flots oder Le Grau-du-Roi zusammenräumten, bei denen er kein einziges seiner Bilder verkauft hatte. (Zu Walos Heiterkeit noch

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