Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
Vom Netzwerk:
herum, Rolande auf dem Rücksitz. Auch sie hielt sich, wie der Ungar, an mir fest, auch ihr Kopf lag auf meinem Rücken, und ihre Hände gingen dieselben Wege. Aber jetzt juchzte ich, und sie lachte und rief mir, in den Fahrtwind brüllend, Liebeserklärungen ins Ohr. Wir lagen in den Dünen – an Wochentagen! – und freuten uns über einen Voyeur, den jedes Liebespaar kannte und erwartete und mit »Hallo, was läuft denn heute so?« ansprach, wenn er wieder einmal näher gerobbt war – geräuschloses Schleichen war nicht seine Stärke – und über die Dünenkante lugte. Er beantwortete die Frage nicht, zog den Kopf ein, schlich rückwärts davon, Sandlawinen auslösend, und bald sahen wir ihn, ein paar Dutzend Meter weiter, ein anderes Paar umschleichen. Wir schwammen im Meer, einmal sogar nachts und splitternackt. Die ganze Freundesbande Rolandes war nun dabei, die Hebammen und die Assistenzärzte und sogar mein Freund Richi, der wie ich aus Basel stammte und an der Uni die gleichen Vorlesungen nicht besuchte. Als wir, bekleidet wieder, in einem Haufen am Strand hockten, fragte mich einer der Junggynäkologen alles andere als leise – die Frage war für alle und vor allem für Rolande gedacht –, wie ich das denn angestellt hätte, Rolande flachzulegen. Alle hätten das versucht, ausnahmslos alle, aber nichts, keine Chance. Rolande sei ein uneinnehmbares Bollwerk gewesen. Und dann komme so ein Wurzelzwerg aus den Bergen dahergelaufen, un petit suisse, und voilà. Alle lachten, auch die Freundin des Gynäkologen, auch Rolande. Richi, der eher ein grand suisse war, lachte am lautesten. Ich antwortete, das sei so gekommen, weil ich ein kleiner Schweizer sei, nicht obwohl. Die Hebammen – alle so jung wie Rolande – erzählten Witze, deren Pointen ich eine Woche vorher noch nicht verstanden hätte, und die Assistenzärzte sangen mehrstimmig Lieder mit vielen Strophen, die ich tatsächlich nicht verstand – oft nicht jedenfalls – und deren Refrains die Hebammen mitgrölten. Ich grölte auch, auch Richi. Ein paar Tage später fuhr die ganze Bande nach Palavas. Ein halbes Dutzend Motorroller, auch ich mit meiner Vespa. Rolande hinter mir, sie trug nun keinen gebauschten Rock, sondern Jeans. Als wir am Strand ankamen, stellte sich heraus, dass Bob, ein Amerikaner und zum ersten Mal mit uns, seine Badehose vergessen hatte. Er war verzweifelt, weil es da, wo er herkam – aus der tiefsten Mitte der USA – undenkbar war, in Unterhosen zu baden. Ich hatte ihn am Abend zuvor kennengelernt, bei einem andern Freund, der ein Grammophon und eine Handvoll toller Platten hatte. So erlebte ich, wie Bob – vor meinen Augen bzw. Ohren – zum ersten Mal ein Stück von Mozart hörte. Zum ersten Mal den Namen Mozart hörte. Er war hingerissen von der Musik (ich glaube, es war tatsächlich die Kleine Nachtmusik ) und notierte sich den Namen des Komponisten so, wie es dieser einst auch öfters getan hatte: Mozzart. Vielleicht deshalb bot ich ihm an, mit ihm zusammen in die Stadt zurückzufahren und die Badehose zu holen. Die andern stürzten sich derweil johlend in die Fluten; das Letzte, was ich sah, war, wie Richi, albern lachend, Rolande nass spritzte. Wir holten die Badehose, Bob zog sie, sich mit einem Handtuch vor mir verbergend, in seinem Zimmer an. Auf der Rückfahrt fuhr ich kaum schneller als Vollgas, als, fern eigentlich noch, ein cremefarbener Peugeot 404 die Straße kreuzte. Er fuhr in Zeitlupe und schien die Kreuzung überhaupt nie mehr verlassen zu wollen. Ich stand auf die Bremse, aber die Vespa wurde kaum langsamer. Sozusagen überhaupt nicht. Es war, als ob uns eine Riesenhand dem Peugeot entgegenschöbe. In Wirklichkeit war es Bob, der um die zwei Meter groß und gewiss hundert Kilo schwer war. Auch ich erlebte nun alles verlangsamt und hatte jede Zeit der Welt zu sehen, wie der Peugeot größer und größer wurde. Ich knallte in sein Heck. Ein großes Geschepper. Als ich wieder etwas wahrnahm, saß ich auf einem Trottoirrand, und eine Hand kam von oben rechts in mein Gesichtsfeld, die mir ein Glas entgegenhielt. Ich nahm es und trank. Es war ein hochprozentiger Birnenschnaps, und die Hand gehörte dem Wirt eines Cafés, vor dessen Tischen ich am Boden saß. Die Gäste hatten sich um mich versammelt und kommentierten den Unfall. Bob stand neben der Vespa, deren Vorderrad unter dem Frontblech verschwunden war. Er grinste schief. Er war unverletzt. Neben ihm stand, noch unverletzter, ein Mann, ein Greis in

Weitere Kostenlose Bücher