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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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einem Maßanzug aus heller Seide, der nun zu mir herüberkam und murmelte, wie das denn habe geschehen können, er sei kaum 20 gefahren, und zudem habe er sofort eine Vollbremsung eingeleitet. Er sei kein Raser, er nicht. Ich sagte ihm nicht, dass er ruhig etwas mehr hätte rasen können; oder bei seinen 20   km/h bleiben; dass ich dann mühelos an ihm vorbeigekommen wäre. Ich stand auf und merkte, dass meine Knie weh taten. Bob half mir, die Vespa an den Straßenrand zu schleppen, und dann humpelten wir – ich humpelte, Bob ging – zur Haltestelle der Bimmelbahn, die einmal in der Stunde im Schritttempo nach Palavas dampfte. Als wir ankamen, brachen die andern gerade auf, und wir fuhren mit der Bimmelbahn zurück, ohne gebadet zu haben. (Mit der Vespa ging es dann so weiter: Jedermann riet mir, sie zu entsorgen, als Schrott. Ich brachte es nicht übers Herz, es war mir nicht möglich, und ich ließ sie also für ein Geld, mit dem ich eine neue hätte kaufen können, per Bahnfracht nach Basel zurücktransportieren, wo sie dann mehrere Jahre lang zwischen Haselnusssträuchern im Garten lag, bis sie – von einem Tag auf den andern – verschwunden war. Meine Mutter? Fräulein Doktor? Ein Vespa-Fetischist? Ich fragte nicht. Ich sprach nie mehr von ihr, von meiner Vespa, meiner armen toten Vespa.) – Rolande war, als ich ein paar Stunden später zu ihr ging, anders als bisher. Sie wollte nicht mehr, nichts mehr. Schon gar nicht mit mir schlafen. Als ich sie fragte: »Pourquoi?«, antwortete sie: »Parce que!« Dazu machte sie ein Gesicht, das eine Ohrfeige kriegen wollte. Ich gab ihr eine. Sie schaute mich lodernd vor Zorn an, und ich weiß nicht, ob mir meine Erinnerung einen Wunschtraum vorspiegelt – vermutlich schon –, wenn sie mir überliefert, dass wir danach noch einmal übereinander herfielen und uns mit der Heftigkeit eines Wutausbruchs liebten. Vielleicht verwechsle ich das mit einem Film, einem Film von damals. Es war jedenfalls aus. Ich hatte keine Ahnung, warum sich die Lage so schnell verändert hatte – dass ich blutige Knie hatte, konnte es nicht sein –, ging an den Tagen, die der Ohrfeige und, eventuell, der Abschiedsleidenschaft folgten, wie absichtslos durch die Cafés, in denen Rolande mit ihrer Bande saß – diese bevorzugte das Y a mieux  –, und schlenderte durch ihre Gasse, wenn sie nach ihrer Arbeit mit dem Solex dahergetuckert kam, bis mich ihre beste Freundin – auch Rolande hatte eine beste Freundin – beiseitenahm und mir sagte, es sei doch alles bestens gewesen, und jetzt sei nicht mehr die Zeit der Liebe, sondern die Zeit, mich davonzumachen und aufzuhören, ihnen allen auf den Sack zu fallen. Salut! So gab ich Rolande auf, oder beinah, denn ich begann den Gedanken zu denken, dass mein Freund Richi, der andere petit suisse, mit Rolande ein Herz und eine Seele gewesen war, als ich mit Bob, aber ohne Vespa in Palavas aufgekreuzt war – sie standen beisammen und kicherten über irgendetwas, was ich nicht verstand –, und dass Rolande sich dann auf den Soziussitz Richis und nicht auf den eines der Gynäkologen gesetzt hatte. Oder dass sie gar mit mir die Bimmelbahn genommen hätte. Auch hatte ich Richi im Y a mieux gesehen, wenn auch nicht neben Rolande sitzend. Ich kochte bald vor Eifersucht, so dass ich mich in der nächsten oder spätestens überübernächsten Nacht kurz nach Sonnenuntergang vor Rolandes Haus aufstellte, von einer Mülltonne nur schlecht getarnt, und zu ihrem Fenster hinaufstarrte, das hell erleuchtet war und bis zum Morgen erleuchtet blieb. Trotzdem ging kein Richi ins Haus hinein, und keiner kam heraus. Allerdings gab ich lange vor Sonnenaufgang auf – die Scham war zu groß geworden –, und es kann sein, dass Richi, der Sausack, erst in der hellen Sonne aus dem Haus kam, fröhlich pfeifend und noch einmal zu dem Fenster hochwinkend, in dem jetzt Rolande stand, kaum bekleidet, und zurückwinkte.
    DER Rest ist schnell erzählt. Der Zauber der vergangenen Monate, in denen alles schön war – das pure Dasein schon ein Glück –, war verflogen. Ich tat noch, halbherzig, dies und jenes – schrieb zum Beispiel an einem Theaterstück herum, in dem ein Orgon eine Hermione liebte, die aber einem Philemon verfallen war, oder umgekehrt. Ich versuchte, eine Art Schweizer Molière zu sein, war aber mehr Schweizer als Molière. Bald packte ich meine Koffer, brachte sie zur Post, sagte Walo und seiner Freundin adieu und trampte, Zeit vertrödelnd, die Küste

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