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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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liebte Fragen, die ihn von der historischen Hauptstraße auf verschlungene Nebenpfade lockten. Er war ein Füllhorn für die, die sich ihm mit Haut und Haar verschrieben, und goss sich für sie aus; nur für sie. Ich konnte gar nicht anders als an ihm scheitern, weil ich die ganze Zeit über ein Nebenfachhistoriker blieb, ein ahnungsloser Bub. Bei ihm wurde ich immer erneut mit der Erfahrung konfrontiert – beschämend, verwirrend, unausweichlich –, dass ich gar nichts von dem verstand, was verhandelt wurde, weil mir alles Grundlagenwissen fehlte. Und das mit jedem Semester erneut. Das war natürlich mein Fehler, ich hastete wie der Hase dem Igel hinterher und kam doch immer zu spät. Kaegi war schon allda und sprach längst von einem neuen historischen Geheimnis. Schon im ersten Seminar, an dem ich teilnahm und dessen Thema »Die Alemannen« hieß, verlor ich gleich in der ersten Stunde die Kontrolle. Es fing damit an, dass Kaegi sich mir jäh zuwandte und mich fragte, wer ich eigentlich sei. Ich antwortete: »Ich heiße Herr Widmer.« Die Scham über meine Antwort hielt die ganze erste Seminarsitzung über so heftig an, dass ich nicht mitbekam, um was es denn nun eigentlich gehen sollte; mir kam nicht einmal mehr in den Sinn, dass ich ja selber ein Alemanne war. Die Alemannen Kaegis bezogen sich das ganze Semester über auf nichts, was mir vertraut war, und hätten genauso gut auf dem Mond leben können. – Ich musste dann – nicht im Alemannen-Seminar – eine Arbeit über Suger schreiben. Ich brauchte eine ganze Weile, um herauszufinden, ob ich mich nicht verhört hatte. »Suger und der Investiturstreit«, etwas in der Art. Suger? War das ein Name? Oder doch eine französische Tätigkeit, suger ? Es stellte sich dann heraus – es gab noch kein Google, nur Lexika –, dass Suger der eminente Abt von Saint-Denis gewesen war, und ich schusterte mir meine Arbeit irgendwie zusammen. – Sonst erinnere ich mich hauptsächlich daran, mich mehrere Semester lang in unzählige Könige und Kaiser verheddert zu haben, die alle Otto hießen. Otto der Erste, Otto der Große, Otto der Zweite, Otto der Vierte, Otto der Faule. Werner Kaegi beugte sich über alte Dokumente und diskutierte mit uns die Deutung verderbter Lettern in Fußnoten von Verträgen eines dieser Ottos mit dem Papst oder vielleicht auch einem Herrscher in Byzanz. Es kam auf Nuancen an, lateinische natürlich, auf winzige Unstimmigkeiten, verborgene Widersprüche. Aber ich kann heute nicht einmal mehr sagen, wann wo welcher Otto was warum getan hat. – Werner Rihm, der Bettzertrümmerer, war einer von denen, die sich Kaegi bedingungslos hingaben und von diesem als hinreichend wissender Gesprächspartner anerkannt wurden. Er schrieb sozusagen jahrzehntelang an einer Dissertation, in der sich Kaegis interessierte Erwartungen und Werner Rihms himmelhohe Ideale so verheerend vermischten, dass Werni sich nie, einfach nie, bereit fühlte, seine Arbeit Kaegi auch nur zu zeigen. Hunderte von Seiten mit ein paar tausend Anmerkungen. Er wurde ein erfolgreicher Lehrer, heiratete Hilli, zeugte zwei Kinder und feilte immer noch an seinen Forschungsergebnissen herum. Es war dann wohl Kaegi selber, der ihm das Manuskript aus den Händen riss, ihn zur Prüfung schleppte und ihm ein Summa cum laude verpasste. Werni fühlte sich dennoch vor Kaegi klein wie eine Maus, was allein deshalb schon seltsam war, weil er ein Brocken von einem Menschen war. Er hätte Kaegi wie ein gütiger Papa auf den Arm nehmen können. – Er war übrigens, wenn er nicht die Einleitung seiner Diss zum zehnten Mal neu schrieb, Stammverteidiger der Schweizer Handball-Nationalmannschaft. Ich habe ihn mehrmals spielen sehen. Er hatte eine ähnliche Spielweise wie Händsche Handschin beim Eishockey-Club Basel, auch er spielte mit der Wucht einer Staumauer. Und wie Händsche brach auch er einmal pro Spiel zu einem Sololauf auf, auch bei ihm flogen die gegnerischen Spieler wie Puppen durch die Luft. Der Ball sah in seinen Pratzen wie ein Tennisbällchen aus, und er hatte einen so satten Schuss, dass die Torhüter, auch wenn sie den Ball gefangen hatten, mit diesem ins Tor purzelten. – Ich glaube nicht, dass Werner Kaegi das wusste. – Karl Jaspers bewunderte ich für seine Fähigkeit, frei sprechend einen Satz zu beginnen, ihn mit einem Nebensatz zu unterbrechen, in diesen einen Einschub einzufügen, in den Einschub eine Parenthese und in diese eine weitere Klammer, dann die drei Klammern eine

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