Reise zum Rand des Universums (German Edition)
sehen; nur schimpfen oder murren oder brummen. Er war für die herzliche Stimmung im Lokal gewiss nicht zuständig. – Irgendwann einmal – ich war nicht dabei – tunkte er seinen Arm bis zum Ellbogen ins glühend heiße Frittieröl. Es tat sehr weh, und die anwesenden Gäste verstanden für einmal sein Gebrüll. Seither hatte er einen Unterarm mit einer verschorften Kruste, wie ein Panzer, der schwarz und blau und purpurrot leuchtete. – Zum Glück war Elsi, seine Frau, viel jünger, hübscher und lustiger als ihr Mann. Sie servierte und schien das gern zu tun. Keiner konnte sich erklären, warum sie, die Lebensfrohe, diesen dumpfen Mann geheiratet hatte. Die meisten sagten, wegen dem Geld. Denn der alte Rieter – ja, Rieter hieß er, nicht Grieder – kaufte still und heimlich die halbe Altstadt von Basel auf, so ziemlich alles, was rund um den Andreasmarkt stand. Es waren jene herrlich verlotterten Häuser aus dem Mittelalter, in denen Schuster, Straßenbahnschaffner und Kunstschmiede für 120 Franken Miete wohnten. Sie waren alle Gäste der Hasenburg und fühlten sich dort und zu Hause wohl. Aber Rieter, von uns unbemerkt und in einem Paradox, das er wohl selber nicht durchschaute, arbeitete unermüdlich darauf hin, seine eigene Kundschaft aus dem Quartier zu vertreiben, denn natürlich wurden die Häuser zu gegebener Zeit renoviert und herausgeputzt und an eine Kundschaft vermietet, die sich die neuen Preise leisten konnte und nicht daran dachte, in die Hasenburg zu gehen. Da war ich aber sowieso kein Gast mehr. Zu meiner Zeit fuhrwerkte der heimliche Millionär noch achtzehn Stunden am Tag ganz allein in seiner Küche herum, weil er zu geizig war, eine Hilfe anzustellen. Er gab keinen unnötigen Rappen aus, das sah ein jeder. Uns kümmerte das nicht. Die Preise für den Féchy und die Leberli waren redlich.
Wir hatten, gleich rechts bei der Tür, einen Tisch. Der war nicht angeschrieben, »Stammtisch« oder so was. Wir hatten ihn ersessen; Gewohnheitsrecht. Umgekehrt kam es mir nie in den Sinn, mich an einen Tisch auf der linken Seite zu setzen. Dort waren andere Universen; nicht unseres. Wir, das waren so etwa zehn oder eher zwanzig Männer und Frauen, die keineswegs alle jung wie ich waren. Gestandene Kneipenhocker mit unklaren Berufen; aber alle erwirtschafteten sich tagsüber ihr Geld. Es kamen nicht jeden Abend alle, natürlich nicht; aber einer von uns saß immer an jenem Tisch. Meist waren es weit mehr. Es war schön, zu jeder Tag- und Nachtzeit – nun ja: jederzeit nach Feierabend – in die Hasenburg treten zu können, und einer oder eine der Vertrauten war schon da: Wyni, Eugen, Peter, Conni, Horst, Baschi, Maurice, Ruth. Sogar wenn es Päuli war, Päuli Zwigli, war ich zufrieden, obwohl Päuli ein schwerverdaulicher Knochen war und noch dem harmlosesten Gedanken einen schweinischen Sinn gab. (Er war der Namensgeber der Fasnachtsclique Fetzenschlucker, in der ich mitmachte und in meiner Unschuld mehrere Fasnachten brauchte, um den tieferen Sinn unseres Cliquennamens zu erfassen.) Er war einer, der ganz in der Gegenwart lebte und nur in ihr. Wenn er jetzt Hunger hatte, bestellte er jetzt ein Steak mit Pommes frites und aß es; auch wenn ihn seine Frau in einer halben Stunde zum Nachtessen erwartete. Wenn er jetzt Lust hatte, ins Kino oder nach Griechenland zu gehen, tat er es jetzt. Auch hatte er einen seit seiner Geburt nie mehr gestutzten Vollbart, in dem sich die Spuren eines ganzen Lebens verfangen hatten. Muttermilch, Geäst, Tabak, Salatblätter, Spinnen. Und er war ein leidenschaftlicher Trommler. Wenn er loslegte mit seinen Bärenkräften, klang es, als lasse Gott selbst Steine aus dem Himmel auf die Straße poltern. – Wyni Sauter war ein Kunstmaler und hatte die bizarrste Gesichtsfarbe, die ich je bei einem Menschen gesehen hatte. Ein bisschen war’s, als ahme sein Gesicht die Armfarbe des alten Rieter nach. Es war wahrhaft violett, mit ein paar tiefblauen und wenigen nur dunkelroten Flecken. Das kam natürlich vom Alkohol; er war nicht der Einzige, der sehr viel trank. – (Ich trank nur viel, zu jener Zeit; fast nichts, verglichen mit Wyni.) Wyni wohnte in einem jener Häuser am Andreasmarkt, die der alte Rieter zu kaufen drauf und dran war; auch er mit einer Miete von 110 oder 140 Franken im Monat; und er hatte von seinem Vormieter ein Schwein übernommen, das nun in der Küche hauste und ihm beim Malen zusah. Er wohnte keine zwanzig Schritte vom Hintereingang der Hasenburg
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