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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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entfernt und warf mir einmal, an einem späten Nachmittag, von seinem dritten Stock aus einen Blumentopf samt Geranie auf den Kopf, beinah auf den Schädel, denn das mörderische Wurfgeschoss zerklirrte unmittelbar vor meinen Füßen. Ich hob den Kopf und sah den inzwischen schwarz-violetten Wyni, der nun brüllte und röhrte und den seine Frau zu bändigen versuchte. Sie rief, Wyni sei ein besoffenes Arschloch, und ich winkte ihr und antwortete: »Ich weiß.« Wyni hatte manchmal eine wilde Wut auf Akademiker, auf solche wie mich, die – so dachte er – mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden waren und den ganzen Tag über nichts taten, was einer Arbeit glich. Bisschen auf der Uni rumhocken. Ich, umgekehrt, war tatsächlich gern mit Menschen, die handfeste Arbeiten taten und sich nicht um die feinen Manieren der besseren Gesellschaft scherten. (Wyni verdiente sein Geld nicht mit seinen Bildern. Er verbrachte den Tag mit Behinderten und delinquenten Jugendlichen, mit denen er in einer Werkstatt Stühle schreinerte, Gusseisenfenster schmiedete oder Fahnenstangen bemalte.) – Der zweite Trinker, dem seine Sucht aus dem Ruder zu laufen drohte und endlich auch lief (er wusste auch mit härteren Drogen Bescheid), war Peter, der ein gottbegnadeter Jazzer war, schon damals erfolgreich und später (er hatte lange Jahre eine Big Band) so etwas wie Kult. Peter Schmidli. Er spielte sein Lieblingsinstrument, das Banjo, auch dann noch virtuos und fehlerfrei, wenn er nicht mehr aufrecht stehen konnte. Da saß er eben auf einem Hocker, spielte aufs wunderbarste seine Nummern und kippte erst am Ende des Konzerts um. – Eugen, mein Freund Eugen Gander, war der andere Akademiker an diesem Tisch, auch er ein froher Säufer, er aber mit einem verlässlichen Sinn fürs Maß, für sein Maß, das um den Faktor 10 größer als bei den meisten andern war. Wenn er die Hasenburg betrat, rief er schon unter der Tür: »Elsi! Ein Liter!« Er meinte Féchy, in der Hasenburg wurde die ganze Jahresproduktion dieses kleinen Winzerdorfs am Genfersee weggeputzt. Er studierte Biologie; später, viel später wurde er eine Koryphäe in seinem Fach und ist heute in Brasilien, wohin es ihn verschlagen hat, der Wissenschaftler mit den meisten Publikationen. Haarscharf am Nobelpreis vorbeigeschrammt. Damals aber forschte er im Auftrag seines Professors an irgendwelchen Enten herum, denen er jede zweite Stunde eine Spritze geben musste, auch nachts, so dass er mehrmals pro Abend aufbrach, um ins nahegelegene Labor hochzulaufen. Das alles glich, auch für Wyni, durchaus einer Arbeit, und also fand Eugen Wynis Billigung eher als ich. Aber auch er kriegte dann und wann Wynis Wut auf alles Akademische zu spüren.
    Eugen ist der Einzige, der für mich von jenem Zaubertisch übriggeblieben ist. (Wyni ist tot, Peter ist tot, und Päuli fühlt sich auch nicht wohl.) Seltsam, die Tatsache, dass er auf einem andern Kontinent lebt, hat unsere Freundschaft kaum beeinträchtigt. Er hatte immer schon eine fabulöse Fähigkeit, einfach so aufzutauchen und das Gespräch schon unter der Tür da wiederaufzunehmen, wo wir es beim letzten Mal liegengelassen hatten. Er ist, was Freundschaften angeht, völlig gelassen. Die paar tausend Kilometer zwischen Brasilia und Zürich ignoriert er nicht einmal. Wir gehen in ein Gasthaus (nicht in die Hasenburg) und reden wie eh und je. Wir trinken auch immer noch Féchy. Der einzige Unterschied ist eigentlich, dass einer von uns offenbar schwerhörig wird. Er behauptet, ich; ich weiß, dass er es ist. Wie auch immer, wir reden immer lauter, wir schreien. Eugen schreit, ohne es zu wissen, denn er hört sich gleich laut wie früher; ich weiß, dass ich schreie; aber ich will, dass er mich hört.
    Es ist noch nicht lange her (ich inzwischen ein gesetzter Herr), da war ich doch wieder einmal in Basel und setzte mich an einem ruhigen Nachmittag an einen Tisch in der Hasenburg, nicht an unsern. Ich trank ein Bier. Am andern Ende des Tischs saß ein Mann, ein junger Mann, und nippte auch an einer Stange hell. Plötzlich wandte er sich an mich und sagte: »Gefällt es Ihnen hier?« Ich nickte. »Wissen Sie«, sagte er und rückte zwei Stühle näher, »früher war es hier viel toller.« Und dann erzählte er mir haarklein, als sei er dabei gewesen, von unserm Tisch. Kleine Anekdoten, ich kam auch vor. »Das muss schön gewesen sein damals«, sagte ich. Er nickte. Ja, sagte er, so was gebe es heute nicht mehr. – Ich sagte ihm nicht,

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