Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
seinen Genossen vorausgeeilt und entdeckte den Bären auf etwa achtzehnhundert Schritt.
Das Thier hatte sich niedergesetzt; langsam bewegte es den Kopf und schnüffelte die ungewohnten Ausdünstungen seiner Wirthe ein.
»Da ist er! rief der Kapitän.
– Stille!« sagte der Doctor.
Aber als der große Vierfüßler die sich Nähernden sah, fiel es ihm gar nicht ein, von der Stelle zu weichen. Ohne Schrecken und auch ohne Wuth sah er sie an. Dennoch war es nicht leicht, sich ihm genügend zu nähern.
»Meine Freunde, sagte Hatteras, es handelt sich jetzt hier nicht um ein bloßes Vergnügen, sondern um die Rettung unseres Lebens. Also handeln wir mit Klugheit!
– Ja, erwiderte der Doctor, wir haben nur einen Flintenschuß. Wir dürfen nicht fehlen; entflieht das Thier, so ist es für uns verloren, da es wohl einen Windhund im Laufe überholt.
– Also müssen wir gerade darauf losgehen. Das Leben gilt es, sagte Johnson, doch was thut das jetzt – ich will das meine daran wagen.
– Nein ich! rief der Doctor.
– Das thue ich, sagte einfach Hatteras.
– Nein, nein, stritt Johnson dagegen, sind Sie nicht für das Wohl Aller nützlicher, als ich alter Mann?
– Nein, Johnson, erwiderte der Kapitän, laßt mich nur machen. Ich werde mein Leben nicht unnöthig auf’s Spiel setzen; es ist sogar möglich, daß ich Euch zu Hilfe rufen muß.
– Hatteras, fragte der Doctor, wollen Sie wirklich dem Bären zu Leibe gehen?
– Wär’ ich nur sicher, ihn zu erlegen, so thät’ ich’s, wenn er mir auch den Schädel zerschlüge! Aber, wenn ich nahe komme, reißt er wohl aus. Es ist ein sehr listiges Thier, und wir müssen ihn überlisten.
– Was denken Sie zu thun?
– Ich will versuchen, mich ihm auf zehn Schritte zu nähern, ohne daß er mich bemerkt.
– Und wie das?
– Das Mittel ist kühn, aber einfach. Sie haben doch das Fell von der Robbe aufgehoben, die Sie erlegt haben?
– Es ist auf dem Schlitten.
– Gut, so wollen wir jetzt zurückkehren, während Johnson auf Wache bleibt.«
Der Rüstmeister glitt hinter einen Spitzhügel, der ihn den Blicken des Bären vollkommen entzog.
Dieser aber blieb ruhig auf seinem Platze und schnüffelte arglos weiter.
Fünftes Capitel.
Robbe und Bär.
Hatteras und der Doctor kehrten nach der Hütte zurück.
»Sie wissen, sagte der Erstere, daß die Polarbären gern auf Robben Jagd machen, da sie ihnen vornehmlich als Nahrung dienen. Ganze Tage lauern sie denselben an Eisspalten auf, und erwürgen sie, sobald sie zu Tage kommen, zwischen ihren gewaltigen Tatzen. Ein Bär wird also bei der Erscheinung einer Robbe nicht erschrecken, sondern im Gegentheil darauf losgehen.
– Ich erkenne Ihre Absicht, sagte der Doctor, doch ist sie nicht ohne Gefahr.
– Aber erfolgversprechend, antwortete der Kapitän, also muß sie ausgeführt werden. Ich werde dieses Robbenfell umhängen und auf dem Eise hinkriechen. Wir wollen keine Zeit verlieren. Laden Sie mir Ihr Gewehr.«
Was sollte der Doctor dagegen sagen? Er hätte ja dasselbe gethan, was sein Gefährte jetzt vorhatte. Er nahm zwei Beile, eins für Johnson, das andere für sich, verließ das Haus und begab sich mit Hatteras nach dem Schlitten.
Dort machte Hatteras Jagdtoilette, d.h. er kroch in das Robbenfell, das ihn fast vollständig verhüllte.
Unterdessen lud der Doctor die Flinte mit dem letzten Pulverreste, und setzte das Quecksilbergeschoß auf, das so hart wie Eisen und schwerer als Blei war. Hatteras, dem er die Waffe übergab, verbarg sie unter dem Felle.
»So, nun gehen Sie mit zu Johnson, ich werde eine kurze Zeit zurückbleiben, um meinen Gegner irre zu führen.
– Nun Muth, Hatteras! sagte der Doctor.
– Seien Sie ohne Sorgen, und jedenfalls lassen Sie sich nicht sehen, bevor ich geschossen habe.«
Schnell war der Doctor hinter dem Eishügel, der Johnson verbarg.
»Nun? fragte dieser.
– Nur etwas Geduld, Hatteras wagt sein Leben, um uns zu retten.«
Der Doctor war selbst aufgeregt, er sah den Bären sich unruhig bewegen, als ob ihn eine nahe Gefahr bedrohe.
Nach einer kleinen Viertelstunde kroch die vermeintliche Robbe auf dem Eise daher; sie hatte einen Umweg um große Eisblöcke herum genommen, um den Bären desto sicherer zu täuschen; jetzt war sie noch dreihundert Fuß von diesem entfernt. Er bemerkte sie, stellte sich auf die Füße und suchte sich offenbar zu verbergen.
Hatteras ahmte mit großem Geschick die Bewegungen einer Robbe nach, und wenn ihm dies vielleicht auch nicht
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