Reiterferien am Meer
zornig auf. „Paps und Rosen schneiden!“ Fest schaute sie uns an, und ihre Lippen zitterten vor Kummer. „Ich habe meine Mutter lieb gehabt. Begreift ihr das? Und ich denke an sie, jede Minute des Tages! Jede Minute sehne ich mich nach ihr, wünsche sie zurück. Auch Paps habe ich lieb gehabt. Was aber hat er getan? Wo ist seine Treue geblieben? Nie im Leben hat er Rosen für Mutter geschnitten! Zum ersten Mal habe ich Blumen in seiner Hand gesehen, als er zu Mutters Grab ging – als er Abschied nahm, weil wir auf den Folly-Hof zogen, um hier den Versuch zu machen, ein neues Leben zu beginnen.“
Babs und ich sahen uns an. Wie konnten wir das verzweifelte Mädchen nur trösten?
„Ich verstehe gut, dass du deine Mutter sehr vermisst“, brachte Babs endlich hervor. „Wirklich, ich weiß, welche Gedanken sich aufdrängen müssen, wenn der eigene Vater nach dem Tod der Mutter eine andere Frau heiraten möchte.“
„Ich auch“, murmelte ich, Tränen in der Stimme.
„Das ist es ja!“, murmelte Carol. „Mir ist eure Tante Di doch völlig fremd. Wir kennen sie erst seit ein paar Wochen – und Mutti hat sie in ihrem ganzen Leben nie gesehen.“
Sie verstummte, schluchzte verzweifelt in sich hinein. Tröstend legte ich ihr den Arm um die Schultern.
„Carol!“ Nur mühsam konnte ich sprechen, denn auch mir wollten Tränen die Stimme ersticken. „Wenn ich in deiner Lage wäre, würde es mir genauso ergehen.“
„Und mir auch“, bekräftigte Babs. „Doch du musst bedenken, dass Tante Di wirklich ein großartiger Mensch ist. Wenn du sie noch besser kennenlernst, dann wird sie dir auch gefallen. Sie ist bestimmt die Letzte, die das Bild deiner Mutter aus deinem Herzen verdrängen möchte.“
„Das meine ich auch“, sagte ich. Natürlich ist der Gedanke an eine Stiefmutter jetzt ein Schock für dich, Carol – das ist nur zu verständlich. Doch ich bin sicher, dass du dich daran gewöhnen wirst.“ Ich suchte nach Worten. „Ach, wie froh wäre ich, wenn es mir gelänge, die richtigen Worte zu finden, um dich zu überzeugen. Du bist doch unsere beste Freundin, und wir möchten so gern, dass du glücklich bist!“
Langsam hob Carol den Kopf und versuchte, uns durch den Tränenschleier vor ihren Augen anzuschauen.
„Lieber würde ich davonlaufen“, brachte sie kaum verständlich unter immer neuen Schluchzern hervor, „als daheim eine fremde Frau die Stelle meiner Mutter einnehmen zu sehen.“
„Es ist verständlich, Carol, dass du die Dinge in diesem Augenblick so siehst“, sagte ich sanft. „Doch nach einer Weile werden sie anders aussehen. Es wird dir klar werden, dass es durchaus im Sinne deiner Mutter sein kann, wenn dein Vater wieder heiratet.“
Carol antwortete nicht sofort. Erst nach einer langen Weile schaute sie mich an.
„Falls es geschieht, kann ich hier nicht bleiben“, sagte sie entschlossen. „Ich sehe mir das nicht mit an. Mit sechzehn Jahren finde ich überall einen Job in einem Gestüt.“
„Carol!“, riefen wir beide wie aus einem Munde, zutiefst erschrocken. Und Babs bat: „O bitte, tu das nicht! Willst du deinem Vater das Herz brechen? Willst du Tante Di in Verzweiflung stürzen? Willst du, dass Jackie und ich ein schlechtes Gewissen haben müssen, als sei alles unsere Schuld?“
Carol schien verzweifelt.
„Damit muss ich mich wohl abfinden“, murmelte sie. „Ich muss einfach fort! Seht ihr das denn nicht ein? Ich kann es einfach nicht ertragen. Nächtelang habe ich wach gelegen und darüber nachgedacht. Nun kann ich nicht mehr! Und ich weiß auch nicht weiter!“
„Und Don?“, fragte ich beklommen. „Was soll aus Don werden? An ihn musst du doch ebenfalls denken! Meinst du, auch er möchte davonlaufen?“
„Don!“ Der Name war ein Schluchzer. „Don wird nicht gehen. Solange er Tearaway reiten darf und Vater ihn trainiert, bleibt er bestimmt auf dem Folly-Hof.“ Neue Bitterkeit klang aus ihrer Stimme. „Manchmal glaube ich, mein Bruder ist so verhext von der Aussicht, ein Springjockey zu werden, dass er überhaupt nicht mehr menschlich denken kann. Er trauert schon gar nicht mehr um Mutti!“
„Jedenfalls war auch Don verstört, als ihm aufging, was sich zwischen eurem Vater und Tante Di anbahnte“, sagte Babs vorsichtig. „Doch inzwischen hat er sich damit abgefunden. Vermutlich ist er zu der Einsicht gekommen, dass diese Entwicklung für euch alle am besten wäre.“
Carol schien die Worte nicht einmal gehört zu haben. Ihre tränenfeuchten
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