Reiterhof Birkenhain 10 - Ende für die Reitschule
der Reitschule helfen konnte. Vielleicht war diese Aktion der richtige Weg?
Als ob Luisa seine Gedanken erraten hätte, baute sie sich vor Dr. Teichmüller auf und stieß ihre Lieblingsdrohung aus: »Wenn Birkenhain weg ist, lungere ich an der U-Bahn herum und werde kriminell.«
»Ach Luisa ...«
Dr. Teichmüller legte ihr die Hand auf die Schulter. Unwillig schob Luisa seinen Arm weg.
»Sie können mich ruhig ernst nehmen.«
»Tue ich ja. Würde ich sonst diesen Eiertanz mitmachen und euch begleiten? Ohne Jensens Wissen?«
Großer Jubel brach aus. Luisa strahlte den Tierarzt an. »Sie kommen also mit?«
»Macht die Pferde fertig, damit wir loskönnen.«
Der Birkenweg lag menschenleer vor ihnen, als die Reiter den Hof verließen. Um diese Zeit waren die Groß-moorstedter bei der Arbeit, in der Schule oder sie kauften ein.
Der Asphalt war geräumt, griffig und frei von Rutschstellen.
Zwar kündigte der lila Himmel Schnee an, aber in den nächsten Stunden musste man wohl nicht damit rechnen.
Vorne gingen die Friesen Ankum und Brinkum. Jule und Bastian führten die Gruppe an. Dahinter kamen die Gerlach-Zwillinge auf ihren Privatpferden Nordlicht und Godewind. Conny ritt ausnahmsweise Kalle, weil sie das freche Fjordpferd gut im Griff hatte. Für Oie, das andere Fjordpferd, hatten die Mädchen Imke Zavelstein ausgesucht. Sie gehörte zu den erfahrensten Reiterinnen. Luisa saß auf Rocky, Theresa auf Nappo.
Den ganzen Weg ins Zentrum ritten sie auf trockenen Straßen. Auf den Gehwegen lag festgetretener Schnee, nur an den Bordsteinen häufte sich Matsch. Konzentriert gingen die Pferde vorwärts. Ahnten sie, dass dieser Marsch wichtig für ihre Zukunft war? Hinter Rocky und Nappo brummte der Wagen von Dr. Teichmüller, der andere Autos auf Abstand halten wollte. Bevor der Zug am Museumsdorf rechts in das Zentrum einbog, setzten Merle und Nicky sich mit einem Plakat an die Spitze. Zwischen zwei Besenstielen trugen sie ein großes Betttuch. Die knallrote Aufschrift schrie weit über die Straße »Hilfe! Reiterhof Birkenhain darf nicht sterben.«
Sarah und Esther bildeten den Schluss. Hinter den letzten Pferden hielten sie ein Plakat hoch. Die halbe Nacht hatte Luisa über der Papptafel gesessen und gemalt. Luisas Meisterwerk zeigte Birkenhain vor und nach der befürchteten Bebauung.
Vorher - das waren weiße und braune Pferde mit gespitzten Ohren und fröhlichen Gesichtern, die über die Weide vor Jensens Bauernhaus tobten. Auf der »Nachher«-Bildhälfte rahmten düstere Wolken ein Apartmenthaus ein. Davor standen traurige Pferde mit gesenkten Köpfen. Ein gepunktetes Pferd - es stellte Flecken-Paula dar - weinte sogar auf dem Bild. Paulas Trauer wirkte so echt, dass später manchem Betrachter ebenfalls Tränen in den Augen stiegen.
Als die Protestgruppe unterwegs war, öffneten die Geschäfte gerade. Um diese Zeit drängten sich die meisten Einkaufslustigen in Großmoorstedt. Bei Bank, Post und im Ortsamt musste man der Erste sein, später wurde es unerträglich voll. Das Ortsamt erlebte morgens immer einen wahren Ansturm.
Anna und Katharina waren vor den Pferden da. Sofort begannen sie damit, gelbe Zettel zu verteilen. Die flammenden Aufrufe stammten von Conny Clasen und die 200 Kopien aus dem Laserdrucker ihres Vaters. Bis weit nach Mitternacht hatte Ulli Clasen seiner Tochter mit den Zetteln geholfen.
Wilma Löwe - sie war schon weit vor Ladenöffnung mit dem Auto gekommen - konnte bereits gute Erfolge verbuchen. Sie ging mit der Unterschriftenliste gegen die Luxuswohnungen herum und sprach jeden an.
»Mein Baby kommt in den nächsten Tagen zur Welt«, sagte sie. »Es soll auf Birkenhain reiten lernen. Pferde sind für Kinder das Beste, was es gibt.«
Einige wussten noch gar nichts von den Bauplänen und regten sich entsprechend auf. Im Nu fanden sich auf den Bürgersteigen kleine Diskussionskreise zusammen. »Das ist ja unerhört.«
»Eine Riesenschweinerei.«
»Wieso wird so ein Klotz genehmigt? Ich darf noch nicht mal eine Garage bauen!«
Nicht einer verweigerte seine Unterschrift. Inzwischen sammelten sich 30 oder 40 Großmoorstedter vor dem Ortsamt. Obwohl sie alle etwas zu erledigen hatten, wollten sie auf die Pferde warten. Die Menschen zogen ihre Schals enger und Leute ohne Handschuhe hauchten in die Hände, um ihre steifen Finger zu wärmen. Die Kälte kroch unter Jacken und Mäntel.
Endlich tauchten die Pferde hinter der Straßenbiegung auf. Mit großem Hallo wurden die Reiter begrüßt.
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