Reiterhof Birkenhain 10 - Ende für die Reitschule
Eigentlich hatten diese Frauen im Ortsamt gar nichts zu tun. Der einzige Grund, warum sie im Warteraum saßen, war ihre Neugier. Sie kamen zu jeder Trauung, um die Braut zu sehen.
»Nicht aufregen, die Ponys sind ganz harmlos«, sagte Conny und sah sich um. Von der Halle gingen fünf weiße Türen ab. Zwei davon führten zum Bauamt und zum Standesamt.
»Nein, Kalle, das ist kein Futter.« Conny sprang aus dem Sattel und zerrte Kalle von einem Adventskranz weg.
Imke stieg ab und kraulte Oles Stehmähne. Kreidebleich klemmte die dünnere Frau sich hinter ihren Stuhl, die Lehne wie ein Schild vor sich.
»Im Standesamt ist eine Hochzeit«, ächzte die dickere, die hinter einer Bodenvase mit Tannenzweigen Schutz suchte. »Ihr könnt doch nicht einfach .. .«
7. Kapitel
Ein Pferd auf dem Flur
». . . und wollen Sie, Diana Kirschfeld, den hier anwesenden Stefan Haarhaus zu Ihrem Ehemann nehmen .. .?«
Der Standesbeamte Anton Biermann unterbrach seine Ansprache, weil lautes Gezeter in den Hochzeitsraum des Ortsamts drang. Der kleine, rundliche Standesbeamte von Großmoorstedt horchte. Die Geräusche kamen nicht von draußen, sondern von der Eingangshalle nebenan.
Und jetzt . . . klang das nicht wie ein Wiehern? Anton Biermann zuckte zusammen. War er so überarbeitet, dass er Stimmen hörte?
Unauffällig zog Biermann ein Taschentuch aus seinem schwarzen Anzug. Heute fand seine allerletzte Hochzeit statt, danach ging er in Ruhestand. Warum konnte diese Feier nicht störungsfrei ablaufen? Er holte tief Luft, wurde dabei aber von seinem zu engen Anzug behindert.
Biermanns Weste saß so prall, dass die Knöpfe, wenn er tief einatmete, abzuspringen drohten. Er tupfte sich die Stirn ab.
Einige Hochzeitsgäste hüstelten, einige warfen ihm verständnislose Blicke zu. Das junge Brautpaar, sie im pelzbesetzten Seidenkleid und er im schwarzen Frack, sah sich ratlos an. Wie brachte man einen Standesbeamten dazu, weiterzumachen? Sagte man: »Nun aber los«? Oder: »Wird's bald«?
Biermann griff nach seinen Unterlagen und begann von vorn.
»... wollen Sie, Diana Kirschfeld, den hier anwesenden Stefan Haarhaus . . .«
Von der Halle hörte man ein klirrendes Geräusch, als ob eine Vase umfiel und zerbrach. Unwillig legte der Standesbeamte seine Papiere vor sich hin. »Nein, so geht das nicht. Entschuldigen Sie mich einen Moment.«
Ein Raunen ging durch den Raum.
»Unmöglich«, zischelte eine Dame mit großem Hut, als Anton Biermann sich an ihr vorbei zum Ausgang schob. Er öffnete die Tür und schaute nach rechts und links. »Ruhe bitte, hier findet eine Trauung statt.«
Hinter dem Adventsschmuck aus dichten Tannenzweigen erkannte er undeutlich einige Gestalten. Als er die Tür wieder schloss, verharrte er. War das nicht... nein, unmöglich. Sicher irrte er sich. Fahrig wischte der
Standesbeamte sich über die Augen. Er ging an seinen Platz zurück, mit einem Ausdruck im Gesicht, als habe er im Flur ein Rudel Wölfe gesehen.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte die Mutter der Braut. »Doch, wunderbar«, flüsterte Anton Biermann. »Ich dachte nur gerade... ach was. Wo waren wir stehen geblieben ... also ... dann antworten Sie mit Ja.«
Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner zu knappen Weste, als das Brautpaar »Ja« sagte.
»Tauschen Sie jetzt die Ringe als Zeichen Ihrer Liebe.« In das Wort »Liebe« mischte sich helles Wiehern.
Wie auf Kommando drehte sich die Hochzeitsgesellschaft zur Tür um.
Der Bräutigam beugte sich zu seiner Fast-Ehefrau und flüsterte ihr ins Ohr: »Lass uns schnell die Ringe tauschen, wer weiß, was hier noch passiert. Sonst sind wir am Ende gar nicht verheiratet.«
Zum zweiten Mal machte sich Anton Biermann zum Ausgang auf und öffnete die Tür zur Eingangshalle. Im nächsten Augenblick schnappte er nach Luft. Kreidebleich drehte er sich zu den Gästen im Hochzeitsraum um.
»Da steht ein Pferd auf dem Flur«, stammelte er.
Dann fiel Anton Biermann um.
Einfach so. War seine knallenge Weste schuld? Oder der Schock über Kalle, den er neben der zerbrochenen Vase erblickte?
Das Erste, was Anton Biermann nach seiner kurzen Ohnmacht sah, war eine dünne Metallbrille. Das Zweite war die Nase, auf der die Brille saß. Und das Dritte war der Mann, zu dem die Nase gehörte. Ein hagerer Fünfzigjähriger, der ihm den Puls fühlte und den irgendwer »Dr. Teichmüller« nannte.
»Gib mir die Tasche, ich brauche das Kreislaufmittel«, hörte Biermann diesen Dr. Teichmüller sagen. Und dann lauter:
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