Reizende Gäste: Roman (German Edition)
jemand Tee?«
»Ja, bitte«, sagte Fleur.
»Gut. Dann mache ich noch eine Kanne.« Gillian verschwand in der Küche.
Fleur biß von ihrem Toast ab. Soweit lief alles ganz gut, dachte sie, trotz des unverzehrten Lammbratens. Der Junge war es gewesen, Antony, der ihnen, kaum daß sie das Haus betreten hatten, ihr Fortbleiben vorgeworfen und sie darüber aufgeklärt hatte, daß Gillian den ganzen Tag über gekocht hatte. Richard wirkte total entsetzt, und Fleur hatte eine überaus überzeugende Bestürzung gemimt. Gott sei Dank schien niemand ihr die Schuld zu geben oder das Thema heute morgen noch einmal aufs Tapet bringen zu wollen.
»So, hier ist der Tee.« Gillian war mit der Teekanne zurückgekehrt.
»Wunderbar.« Fleur lächelte in Gillians abweisendes Gesicht. Wenn sie mit nichts weiter als ein paar peinlichen stillen und bösen Blicken zurechtkommen müssen würde, dachte Fleur, dann hätte sie ein leichtes Spiel. Funkelnde Blicke ließen sie kalt; und hochgezogene Augenbrauen und spitze Bemerkungen ebenso. Das war das Glück, wenn man sich seine Opfer in der reservierten englischen Mittelklasse suchte, dachte sie, während sie an ihrem Tee nippte. Sie schienen nie miteinander zu reden; sie hielten partout am Gewohnten fest; sie schienen fast lieber ihr ganzes Geld zu verlieren als sich der Peinlichkeit einer direkten Konfrontation auszusetzen. Was bedeuete, daß der Weg für jemanden wie sie frei war.
Neugierig musterte sie Gillian. Für jemanden, der vermutlich nicht ganz unvermögend war, war sie ausgesprochen gräßlich gekleidet. Eine dunkelgrüne Hose – Freizeithose nannte man das wohl – und eine blaue, bestickte Bluse mit kurzen, praktischen Ärmeln. Als sie sich mit der Teekanne zu ihr beugte, erhaschte Fleur eine kurze Ansicht auf ihre Oberarme – solide Keulen von weißer, durchsichtiger, fast tot wirkender Haut.
Antony war ein bißchen besser gekleidet. Ziemlich normale Jeans und ein recht nettes rotes Hemd. Sein Muttermal war ein Jammer. Hatte man es denn nicht behandeln können? Möglicherweise nicht, denn es verlief direkt über seinem Auge. Wäre er ein Mädchen gewesen, dann hätte er natürlich Make-up benutzen können … Ansonsten, dachte Fleur, war er ein gutaussehender Bursche. Da schlug er seinem Vater nach.
Fleurs Blick wanderte gemächlich hinüber zu Richard. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, schaute aus dem Gewächshaus in den Garten hinaus, mit einem augenscheinlich zufriedenen Gesichtsausdruck, als begänne er gerade einen Urlaub. Als er ihren Blick auf sich spürte, sah er auf und lächelte. Fleur lächelte zurück. Richard anzulächeln fiel einem leicht, dachte sie. Er war ein guter Mann, freundlich und besonnen und nicht annähernd so langweilig, wie sie anfangs befürchtet hatte. Diese letzten Wochen hatten Spaß gemacht.
Doch sie brauchte das Geld, nicht Spaß. Sie hatte ihr Ziel nicht so hartnäckig verfolgt, um schließlich mit einem begrenzten Einkommen und Urlaub auf Mallorca zu enden. Fleur seufzte innerlich und nippte an ihrem Tee. Manchmal laugte sie die Jagd nach Geld ganz schön aus; bisweilen dachte sie, daß Mallorca auch nicht so schlecht wäre. Aber das war Schwäche. Sie war nicht so weit gekommen, um einfach aufzugeben. Sie würde ihr Ziel erreichen. Sie mußte es erreichen. Abgesehen von allem anderen, war das das einzige Ziel, das sie hatte.
Sie blickte zu Richard auf und lächelte.
»Ist das das größte Haus auf dem Greyworthgelände?«
»Ich glaube nicht«, sagte Richard, »aber eines der größten.«
»Die Tillings haben acht Schlafzimmer«, meldete sich Antony zu Wort. »Und ein Billardzimmer.«
»Da hast du’s.« Richard grinste. »Antony weiß Bescheid, verlaß dich drauf!«
Antony schwieg. Der Anblick Fleurs ihm gegenüber am Tisch war beunruhigend. Ging diese Frau wirklich mit seinem Dad? Sie war hinreißend. Hinreißend! Durch sie sah man seinen Dad in einem völlig neuen Licht. Als die beiden am Abend zuvor gekommen waren, hatten sie ausgesehen, als kämen sie aus der Familie von jemand anderem. Sein Dad sah gar nicht wie sein Dad aus. Und Fleur sah ganz bestimmt nicht so aus wie irgend jemandes Mum. Aber wie ein Flittchen auch wieder nicht, dachte Antony. Sie war keine Geliebte. Sie war einfach … schön.
Als er nach seiner Tasse griff, sah Richard, wie Antony Fleur mit unverhohlener Bewunderung anstarrte, und unwillkürlich regte sich Stolz in ihm. Stimmt, mein Junge, hätte er am liebsten gesagt. Noch ist das Leben für
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