Reizende Gäste: Roman (German Edition)
mich nicht vorbei. Doch zugleich meldeten sich auch Schuldgefühle, und Erinnerungen kamen hoch: Bilder von Emily, wie sie genau da gesessen hatte, wo jetzt Fleur saß; Erinnerungen an Familienfrühstücke, bei denen Emilys helles Lachen sich über die Unterhaltung erhoben hatte. Aber jedesmal, wenn diese unerwünschte Vergangenheit hochkam, erstickte er sie; weigerte sich, daß seine Sentimentalität die Oberhand gewann; das Leben war für die Lebenden da; sein Glück mußte man ergreifen; Fleur war eine wunderbare Frau. Während er so im hellen Sonnenschein dasaß, schien kein Stäubchen dieses Glück trüben zu können.
Nach dem Frühstück verschwand Richard, um sich für das Golfspiel fertigzumachen. Wie er Fleur erklärt hatte, fand an diesem Tag der Banting Cup statt. An jedem anderen Samstag hätte er aufs Golfspiel verzichtet, um ihr die Umgebung zu zeigen. Aber der Banting Cup …
»Sei unbesorgt«, hatte Fleur sofort gesagt. »Ich komme gut allein zurecht.«
»Danach könnten wir uns aber auf einen Drink dort treffen«, hatte Richard hinzugefügt. »Gillian bringt dich zum Clubhaus.« Er hatte innegehalten und die Stirn gerunzelt. »Macht’s dir was aus?«
»Natürlich nicht«, lachte Fleur. »Ich mache mir allein einen schönen Vormittag.«
»Alleinsein wirst du aber nicht!« hatte Richard gesagt. »Gillian wird sich um dich kümmern.«
Nun beäugte Fleur Gillian nachdenklich. Diese nahm saubere Teller aus der Geschirrspülmaschine heraus und stapelte sie aufeinander. Jedesmal, wenn sie sich hinunterbeugte, stieß sie einen kleinen Seufzer aus; jedesmal, wenn sie sich wieder aufrichtete, sah sie aus, als würde sie diese Anstrengung nicht überleben.
»Welch reizende Teller.« Fleur erhob sich. »Einfach wunderschön. Haben Sie die ausgesucht?«
»Was, die?« Gillian betrachtete den Teller in ihrer Hand, als würde sie ihn hassen. »O nein. Die hat Emily ausgesucht. Richards Frau.« Sie hielt inne, und ihre Stimme wurde barscher. »Sie war meine Schwester.«
»Ah so«, sagte Fleur.
Nun, lange hatte es nicht gedauert, um auf dieses Thema zu kommen, dachte sie. Die tote, untadelige Ehefrau.
Vielleicht hatte sie diese Gillian unterschätzt. Vielleicht würde sie nun zum Angriff übergehen. Die geschürzten Lippen, die gezischten Drohungen. In meiner Küche sind Sie nicht willkommen. Sie stand da, beobachtete Gillian und wartete. Doch Gillians blasses und teigiges Gesicht blieb ausdruckslos.
»Spielen Sie Golf?« erkundigte Fleur sich schließlich.
»Ein bißchen.«
»Ich leider überhaupt nicht. Ich muß versuchen, es zu lernen.«
Gillian antwortete nicht. Sie hatte begonnen, die Teller zurück in die Anrichte zu räumen. Es waren Keramikteller, von denen jeder von Hand mit einem anderen Tiermotiv bemalt war. Wenn sie schon ausgestellt werden sollten, dachte Fleur, dann mußte man sie doch zumindest richtig herum in den Schrank einräumen. Doch Gillian schien das nicht zu bemerken. Jeder Teller wurde krachend in die Anrichte zurückgestellt, bis das oberste Regalbrett und das zweite zur Hälfte mit Tieren in verschiedenartigen Winkeln vollgestellt waren. Dann waren die Tierteller unvermittelt zu Ende, und Gillian begann den Rest der Regalbretter mit blauweiß gemustertem Porzellan zu füllen. Halt! hätte Fleur am liebsten gerufen. Sehen Sie denn nicht, wie häßlich das aussieht? Keine zwei Minuten, und man könnte es hübsch anordnen.
»Wie schön«, sagte sie, als Gillian fertig war. »Ich liebe Bauernküchen.«
»Leider sind sie schwer sauberzuhalten«, entgegnete Gillian niedergeschlagen. »All diese Fliesen. Wenn man Gemüse schneidet, geht immer alles in die Fugen.«
Fleur blickte sich um und überlegte krampfhaft, worüber man sich außer kleingeschnittenem Gemüse noch unterhalten konnte. Der Raum erinnerte sie unangenehm an eine Küche in Schottland, in der sie eine ganze Jagdsaison über gebibbert hatte, nur um am Ende herauszufinden, daß ihr adeliger Gastgeber nicht nur hoch verschuldet war, sondern sie auch die ganze Zeit hintergangen hatte. Verfluchte Oberschicht, dachte sie grimmig. Absolute Zeitverschwendung.
»Verzeihung«, sagte Gillian, »aber ich müßte mal an den Geschirrschrank.« Sie langte an Fleur vorbei hinunter und tauchte mit einer Reibe wieder auf.
»Darf ich Ihnen helfen?« fragte Fleur. »Bestimmt gibt es etwas, was ich tun kann.«
»Es ist einfacher, wenn ich’s selber mache.« Gillian wich Fleurs Blick aus. Innerlich zuckte Fleur mit den
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