Reizende Gäste: Roman (German Edition)
Atmung zu haben.
»Vielleicht wäre es besser, nichts davon vor Richard zu erwähnen.« Fleur stellte sich ganz nah vor Lambert und sah ihm direkt in die Augen. »Das könnte ihm ein bißchen … peinlich sein.« Einen Augenblick hielt sie inne, atmete ein wenig schneller als gewöhnlich und beugte sich ganz leicht zu ihm hin. Er wirkte wie versteinert.
Und plötzlich war sie verschwunden. Lambert rührte sich nicht vom Fleck, spürte noch immer ihren Atem auf seiner Haut, hörte noch immer ihre Stimme in seinem Ohr, ließ die Szene im Geiste noch einmal Revue passieren. Fleurs Unterwäsche – ihre schwarze Seidenunterwäsche – hatte unter dem Schreibtisch gelegen. Was heißen muß, daß sie Richard … Lambert schluckte. Sie und Richard …
Mit einem Knall schloß er die Schublade des Aktenschranks und wandte sich ab. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren; er konnte sich nicht sammeln. Er konnte nicht über Kontoauszüge und Guthaben nachdenken. Das einzige, woran er denken konnte, war …
»Philippa!« bellte er die Treppe hinunter. »Komm hoch!« Stille. »Komm hoch!« wiederholte er. Schließlich erschien sie.
»Ich habe mich gerade mit Fleur unterhalten«, beklagte sie sich, während sie die Treppe hinaufeilte.
»Das ist mir egal. Komm hoch!« Er nahm Philippa an der Hand und führte sie rasch zum Schlafzimmer am Ende des Ganges, in dem sie gewöhnlich übernachteten. Es war Philippas Kinderzimmer gewesen, ein Phantasieland aus Rosen und Kaninchen, aber sobald sie ausgezogen war, hatte Emily die Tapete herunterreißen und durch eine in einem dunkelgrünen Schottenmuster ersetzen lassen.
»Was möchtest du denn?« Philippa befreite sich aus Lamberts Griff.
»Dich. Jetzt.«
»Lambert!« Sie sah ihn beklommen an. Mit glasigen Augen starrte er sie an. »Zieh das Kleid aus!«
»Aber Fleur …«
»Zum Teufel mit Fleur!« Er beobachtete, wie sich Philippa eilig das Kleid über den Kopf zog, dann schloß er die Augen, zog sie an sich und knetete ihr Fleisch schmerzhaft zwischen seinen Fingern. »Zum Teufel mit Fleur«, wiederholte er mit undeutlicher Stimme. »Zum Teufel mit Fleur.«
Bei der Rückkehr von seiner Unterredung traf Richard Fleur an ihrem üblichen Platz in einem Sessel im Wintergarten an.
»Wo stecken Philippa und Lambert?« erkundigte er sich. »Ihr Wagen steht in der Einfahrt.« Er sah auf seine Uhr. »In einer halben Stunde beginnt unser Golfspiel.«
»Oh, die beiden werden sich schon irgendwo herumtreiben«, murmelte Fleur. »Lambert habe ich vorhin schon gesehen.« Sie erhob sich. »Komm, laß uns einen kleinen Gartenspaziergang machen.«
Sie hakte sich bei Richard unter und fragte beiläufig:
»Du und Lambert, ihr kennt euch recht gut, nehme ich an. Nun, da ihr eine Familie seid.« Während sie das sagte, beobachtete sie ihn genau und sah, wie kurz ein Ausdruck der Abneigung über sein Gesicht huschte.
»Natürlich habe ich ihn besser kennengelernt«, erwiderte Richard. »Aber ich würde deshalb nicht sagen …«
»Du würdest dich nicht als seinen Freund bezeichnen? Das habe ich mir schon gedacht. Ihr führt also keine langen Gespräche miteinander? Vertraut euch Dinge an?«
»Denk an den Generationenunterschied«, verteidigte sich Richard. »Das ist doch verständlich.«
»Völlig verständlich«, pflichtete Fleur ihm bei und belohnte sich mit einem kleinen Schmunzeln. Sie hatte mit ihren Vermutungen also tatsächlich richtig gelegen. Die beiden sprachen nie miteinander. Was hieß, daß Lambert Richard nicht auf die Geschichte über den Sex auf dem Boden seines Arbeitszimmers ansprechen würde. Er würde ihre Story nicht überprüfen; sie war sicher.
Was Lambert im Arbeitszimmer gewollt hatte, wußte sie beim besten Willen nicht. Früher einmal, da hätte sie es unbedingt herausbekommen wollen. Doch die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß es in jeder Familie jemanden mit einem Geheimnis gab. Immer gab es ein Familienmitglied mit einer Leiche im Keller, mitunter auch mehrere. Der Versuch, das Wissen darüber für die eigenen Ziele auszunützen, klappte nie. Familienzwistigkeiten waren stets irrational, bestanden in den meisten Fällen schon seit langer Zeit, und sobald jemand Fremder daran rührte, herrschte plötzlich größte Einmütigkeit. Lieber kümmerte man sich gar nicht darum und verfolgte schnellstmöglich das eigene Ziel.
Eine Weile gingen sie schweigend weiter, dann sagte Fleur:
»War deine Besprechung erfolgreich?« Richard zuckte die Achseln und schenkte ihr
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