Religionen der Menschheit – Das EBook Weltreligionen sciebooks.de (German Edition)
bis zu Vollbärten (Männer) und Ganzkörperverschleierungen (Frauen) reichen.
Die Summe aller islamischen Verhaltensgebote und –vorschriften wird Scharia genannt, von der es jedoch keine einheitliche Auslegung gibt. So werden mit Berufung auf den Islam sowohl traditionalistische und fundamentalistische Konzepte vertreten wie auch Forderungen nach Demokratie, Menschenrechten und Gleichberechtigung.
3.5 Steht der Islam für Krieg oder Frieden?
Viele Muslime betonen, dass der Islam eine Religion des Friedens sei, schon in der Selbstbezeichnung das Wort „salam“ = Frieden enthalte. Und seien Muslime nicht gehalten, mit „Salam aleikum“ – Friede sei mit Dir, zu grüßen?
Dagegen halten andere, schon der Prophet Muhammad selbst habe doch Kriegszüge geführt und den Islam „mit Feuer und Schwert“ verbreitet. Und auch heute seien Muslime an sehr vielen Konflikten und Terroranschlägen beteiligt.
Der Prophet habe niemandem seine Religion aufgezwungen und gerade auch Christen und Juden Religionsfreiheit und rechtlichen Schutz gewährt, erhebt sich da der Einspruch. D ie heutigen Konflikte seien nicht religiös, sondern politisch bedingt und gingen nicht selten gerade auf die Kolonialisierungen und Einmischungen der westlichen Mächte zurück. Hätten nicht gerade auch die USA und Großbritannien das fundamentalistische Königshaus von Saudi-Arabien gestützt, bei der Vertreibung und fortgesetzten Demütigung der Palästinenser mitgewirkt, die frühe Demokratie im Iran zerstört, die Taliban gegen die Sowjetunion hochgerüstet usw.? Und stünden heute nicht christliche Armeen in zahlreichen islamischen Ländern, etwa um deren Bevölkerungen zu unterdrücken und Rohstoffe zu plündern? Und seien nicht die Kreuzzüge, die Vernichtung etwa amerikanischer Ureinwohner, beide Weltkriege einschließlich des Massenmordes an Juden, Roma und Sinti, die ersten Atombombenabwürfe u.v.m. von westlich-christlichen Gesellschaften ausgegangen?
So und ähnlich tobt die Debatte seit Jahren hin und her und nur wenigen gelingt es, die Engführung der je eigenen Vorurteile zu überwinden.
So führte Muhammad – analog zu Moses – durchaus Krieg, lehnte aber „Zwang im Glauben“ ab. Islamische Reiche weiteten sich durch Eroberungen aus, der Islam selbst aber erreichte auch durch friedliche Mission Menschen und Gesellschaften wie beispielsweise das nie eroberte Indonesien. Und während sich heute tatsächlich viele politische und auch extremistische Bewegungen auf den Islam berufen, war das vor wenigen Jahrzehnten noch anders: Noch in den Schriften von Karl May werden Muslime als schicksals- und obrigkeitshörig vorgestellt, die Aufstände und Attentate gingen von ausdrücklich säkularen Organisationen wie der sozialistischen PLO oder den nationalistisch-laizistischen Baath-Parteien aus. Die ersten Selbstmordattentate wurden gerade auch von palästinensischen Imamen als unislamisch gebrandmarkt und Israel förderte die Sozialarbeit der frühen Hamas als Gegengewicht zu den palästinensisch-säkularen Parteiungen.
Aus religionswissenschaftlicher Sicht lassen sich die bei näherer Sicht doch sehr komplexen Befunde durchaus ordnen: Da jede lebendige religiöse Tradition immer wieder neu gedeutet wird und sich unweigerlich Vielfalt ausbildet , entwickelt sich stets ein Sowohl-als-Auch. Auch Religionen mit kriegerischen Stiftern wie Judentum oder Islam entfalten daher auch friedfertige Auslegungen, wie umgekehrt auch Religionen mit betont friedfertigen Stiftern wie Christus oder Buddha dennoch gewaltförmige Bewegungen und sogar eigene Kriegerideale (Kreuzritter, Samurai etc.) hervorbringen. Die Ursprungserzählungen haben ihre Bedeutung, aber sie schränken die Möglichkeiten der Auslegung kaum ein.
Welche Faktoren aber führen dann dazu, dass sich je kriegerische oder friedliche Auslegungen entwickeln und durchsetzen?
So komplex die menschliche Geschichte ist, so schält sich doch ein Hauptmotiv heraus: Die Präsenz vieler junger Männer ohne Aufstiegs- und Familienchancen, der so genannte Jugendüberhang (engl. Youth Bulge ). Wo immer ein solcher Überhang entsteht, werden sich Teile dieser Bevölkerungsgruppen politischen Bewegungen anschließen, die Eroberungen verheißen – sei es in Form von Stammes-, National- oder Religionskonflikten. Umgekehrt werden sich in Kleinfamilien, die keine Söhne „übrig“ haben, sehr schnell friedfertige Auslegungen durchsetzen – durch Kriege haben diese viel zu verlieren und
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