Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
fragte Cornelia plötzlich, während sie gedankenverloren über das Wasser blickte. „Ich würde gerne einmal ein fremdes Land sehen. Vielleicht bliebe ich sogar für immer da, an einem Ort, wo es das ganze Jahr über warm ist.“
Der strahlend blaue Himmel täuschte darüber hinweg, dass die Frühjahrssonne noch keine rechte Kraft besaß. Eine Windbö kam und lüftete die Kleider der Menschen am Ufer. Cornelia stellte sich fröstelnd hinter mich, wo sie vom Wind besser geschützt war, und zog ihr wollenes Schultertuch enger um den Kopf.
Ihre Frage befremdete mich. Ein solch irrwitziger Gedanke war mir noch nie gekommen.
„Warum denn? Mir gefällt es in Holland. Wenn ich wissen will, wie es in anderen Ländern aussieht, lese ich ein Buch. Oder lasse mir von jemandem, der dort war, davon erzählen. Außerdem muss ich es nicht jeden Tag warm haben. Ich mag auch die Kälte ganz gerne.“
Cornelia blickte mich mit zusammengezogenen Brauen von der Seite an und hob herausfordernd ihr Kinn.
„So, so. Weißt du, was ich viel eher glaube? Dass du seekrank werden würdest. Oder dass du ein Angsthase bist, weil du nicht weißt, was dich am anderen Ende der Erde erwartet.“
„Ganz bestimmt werde ich nicht seekrank, und ich fürchte mich auch nicht vor der Fremde. Als ich von zu Hause weggegangen bin, habe ich ja auch nicht gewusst, was mich in der großen Stadt erwartet“, hielt ich dagegen.
„Samuel, der Draufgänger aus Muiderkamp“, erwiderte Cornelia spöttelnd. Mir missfiel ihr Tonfall. Trotz stieg in mir auf, weswegen ich mich nur noch mehr über mich selbst ärgerte.
„Warum machst du dich über mich lustig, Cornelia? Hast du überhaupt schon einmal etwas Anderes als die Rozengracht gesehen?“
„Und ob. Ich habe früher weit weg gewohnt. In einem ganz anderen Stadtviertel. Aber warum erzähle ich dir das eigentlich? Das geht dich überhaupt nichts an.“
Ich war ratlos. Manchmal war Cornelia so schlecht gelaunt, dass man ihr nichts recht machen konnte. Dann wieder gab es Tage, an denen sie mir sanftmütig und zugewandt erschien. Im Grunde genommen war sie in diesem Punkt nicht anders als meine Schwestern. Aber erwachsener und … reizvoller.
„Mir ist kalt. Ich will jetzt gehen.“
Abrupt drehte Cornelia sich um und lief so schnell an den letzten noch verbliebenen Zuschauern vorbei, dass ich schon befürchtete, sie aus den Augen zu verlieren. Schweigend gingen wir nebeneinander her, vorbei an den Lagerhäusern der Verenigde Oostindische Compagnie, über denen der Duft von Zimt, Nelken und Muskatnuss wie eine unsichtbare Wolke hing.
„Hm, riecht das nicht gut? Ich will Rebekka bitten, uns am Sonntag Zimtwaffeln zu backen. Wenn ich verspreche, ihr dabei zu helfen, wird sie bestimmt nicht nein sagen.“
Cornelias schlechte Laune legte sich offenbar. Sie hakte sich bei mir ein und versuchte, mit mir im Gleichschritt zu gehen. Fast wäre sie gestolpert. Sie lachte übermütig und sah in diesem Moment wunderschön aus. Ich dachte an den Brief meines Vaters und daran, dass ich irgendwann nicht mehr mit ihr zusammen durch Amsterdam laufen könnte. Mir war, als säße eine dicke Kröte in meinem Hals.
„Was ist los, Samuel, warum bist du so still?“
Ihre großen Augen blickten mich fragend an. Das leuchtende Grün der Iris erinnerte mich an einen Schildkrötenanhänger aus Smaragden, der mir in dem orientalischen Bazaar aufgefallen war. Dort, wo der Meister seinen silbernen Dolch gekauft hatte. Ich stockte, weil ich nicht wusste, wie ich ihr antworten sollte.
„Nun sag schon“. Cornelia drückte auffordernd meine Hand. „Du fühlst dich bei uns nicht richtig wohl, habe ich Recht? Gefiel es dir auf dem Land besser als bei uns in der Stadt?“
Energisch schüttelte ich den Kopf.
„Nein, glaub mir. Im Gegenteil, am liebsten würde ich für immer hier bleiben. Aber“, ich musste heftig schlucken, „mein Vater hat mir geschrieben. Er … er kann das Lehrgeld nicht mehr zahlen. Wenn nicht irgendein Wunder geschieht, dann muss ich im Herbst nach Hause zurückkehren. Und wieder bei meinem Onkel in der Schneiderei arbeiten.“
Cornelia ging langsamer, blieb schließlich stehen und presste die Lippen ganz fest aufeinander.
„Sag, dass das nicht wahr ist, Samuel. Oder etwa doch?“
Ich nickte bedrückt. Dachte an Maßbänder, Garnrollen, Schnittmuster und Plätteisen, zwischen denen ich die nächsten Jahre verbringen würde. Fern von meinem Meister. Fern von Cornelia.
Beschwörend sah sie mich an.
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