Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
umgeladen, die längsseits kamen. Diese wiederum brachten die Waren auf den vielen schmalen Wasserwegen in die Stadt. Aber auch zur Landseite hin wurde eifrig gelöscht und geladen. Ein Großsegler steuerte der Hafeneinfahrt zu, während Glocken allen Neuankömmlingen ihren Willkommensgruß entboten.
Der Hafenschlick barg zahlloses Treibgut. Seetang und tote Fische schwappten gegen die Kaimauer. Der Geruch des salzigen Meerwassers mischte sich mit dem von Fäulnis und Verwesung. Möwen und Seeschwalben kreisten über den Schiffen und schlugen sich kreischend um die silbrig glänzenden Happen.
Die „Prins Hendrik“ lag am Ende der Reede, ein Dreimaster, dessen gigantische Aufbauten die der übrigen Schiffe weit überragten. Bunt bemalte Holzfiguren schmückten das Achterdeck. In der Mitte prangte ein goldenes Wappen mit kämpfenden Löwen, das in der Sonne leuchtete. Ein Matrose putzte die Laternen hoch über der Reling.
An den Seitenwänden ragten Kanonenköpfe aus engen Rohrmündungen. Über ein schwankendes Brett am Schiffsbug transportierten Hafenarbeiter ihre Handkarren an Deck, voll geladen mit Kisten, Leinensäcken und Fässern. Über eine zweite Rampe in Hecknähe wurden die leeren Karren wieder an Land befördert. Auf der Kaimauer wimmelte es von Schaulustigen.
„Fahr nicht weg, mein Junge. Bleib bei deiner alten Mutter. Sie hat ja nur dich.“
Eine alte Frau hielt die Hand eines Matrosen fest umklammert. Als er sich von ihr abwenden und zu dem Schiff gehen wollte, warf sie sich auf die Knie.
„Mutter, was sollen denn nur die Leute denken“, murmelte der Matrose mit hochrotem Kopf und sah sich verlegen nach allen Seiten um.
„Dein Vater ist vor drei Jahren nicht mehr zurückgekommen, und dieses Mal wird die See auch dich holen. Das spüre ich.“
Der Junge schüttelte ärgerlich den Arm und riss sich von seiner Mutter los, die sich wimmernd krümmte und die Hände über der Brust faltete. Einige Männer halfen der Frau auf die Beine und brachten sie zu einem Lagerschuppen.
Hinter einem Stapel mit Getreidesäcken entdeckte ich ein Liebespaar, das in inniger Umarmung voneinander Abschied nahm. Der Seemann flüsterte seiner hübschen Begleiterin etwas ins Ohr und heftete ihr eine goldene Brosche an das Mieder. Die junge Frau wischte sich die Augen und vergrub ihren Kopf schluchzend an die Schulter des Mannes.
An Bord der „Prins Hendrik“ entstand plötzlich emsige Betriebsamkeit. Kapitän und Offiziere standen auf dem Achterdeck und gaben ihre Anweisungen, Kommandos schallten, Matrosen warfen die Leinen los.
„Halt, so wartet doch!“, hörten wir jemanden rufen. Ein Seemann bahnte sich mit den Ellenbogen einen Weg durch die Zuschauer. Wir sahen, wie an Deck die Kameraden winkten und eine Strickleiter hinunterließen, die der Matrose gerade noch zu fassen bekam. In Windeseile kletterte er die Sprossen hoch und wurde oben von seinen Kameraden über die Reling gehievt. An Bord erwartete ihn bestimmt ein tüchtiges Donnerwetter des Kapitäns.
Ganz langsam entfernte sich das Schiff vom Kai. Es wurde von Ruderbooten gezogen, deren Mannschaften sich kräftig ins Zeug legen mussten, um die träge Masse in Bewegung zu setzen. Der Bug drehte sich allmählich Richtung Hafenausfahrt. Zahllose Abschiedsrufe flogen zwischen Schiff und Land hin und her. Frauen und Kinder am Ufer winkten und weinten. Manche Menschen standen einfach still und ergriffen da. Ein gutes Jahr würde es wohl dauern, bis das Schiff wieder zurückkehrte. Sofern es nicht in einen Sturm geriet oder von Piraten aufgebracht wurde.
Langsam und majestätisch passierte die „Prins Hendrik“ die Hafenausfahrt. Der Wind stand günstig, sodass man draußen auf dem Ij mit dem Segelsetzen beginnen konnte. Und noch einmal, wenn auch schon viel leiser, drang ein Schwall von Kommandos über das Wasser herüber. Die Mannschaft leistete Knochenarbeit, bis die Segel gesetzt waren, die sich füllten und blähten. Die Heckflagge flatterte wie als Abschiedsgruß. Das Schiff nahm nun Fahrt auf Richtung Zuiderzee. Die Ruderboote hatten längst ihre Leinen losgeworfen und kehrten in den Hafen zurück.
Ich dachte an meine Kindheit, als ich mit meinen Geschwistern oft auf dem Deich in Muiderkamp gespielt hatte. Von dort konnten wir am Horizont die Handelsschiffe beobachten, die zu ihrer Fahrt in ferne Länder aufbrachen oder aber nach Amsterdam, in den Heimathafen, zurückkehrten.
„Möchtest du auch einmal mit einem großen Schiff fortfahren?“,
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