Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Professors abliefern können. Er wirkte wie befreit und erlaubte mir sogar, das Porträt, das ich von Cornelia skizziert hatte, auch in Öl zu malen. Dazu schenkte er mir ein altes Stück Leinwand. Außerdem durfte ich die Farbreste, die er nicht mehr benötigte, für mich verwenden. Material war teuer, und ich wusste seine Großzügigkeit zu schätzen.
Mit dem voranschreitenden Sommer stieg aus den Grachten ein fauliger Gestank auf, der sich wie eine Glocke über die Stadt legte. Abhängig von der Windrichtung tat man an manchen Tagen gut daran, die Läden geschlossen zu halten. Über dem rechten Atelierfenster hatte der Meister ein Stoffsegel befestigt, das mit Stricken von der Decke hing. Durch einen Seilzug konnte er seine Position verändern. So war es ihm auch an sonnigen Tagen möglich, ungehindert in seinem Atelier zu malen.
Meister Rembrandt war ein Mensch, der sehr zurückgezogen lebte und arbeitete. Nur gelegentlich ging er aus dem Haus, wenn er etwa jemanden treffen wollte. Umso überraschter war ich, als eines Tages unangemeldet Besuch kam. Es war ein Mann, der offensichtlich ein guter Bekannter war, denn der Meister begrüßte ihn sehr herzlich.
„Lieber Pieter, seid mir willkommen. Seit wann seid Ihr zurück in Amsterdam?“
„Seit einer Woche, mein Freund. Heute Morgen beim Ankleiden dachte ich mir, es sei an der Zeit, wieder einmal bei Euch vorbeizuschauen und zu fragen, wie es Euch in den letzten Monaten ergangen ist. Oh, wie ich sehe, arbeitet Ihr an einem neuen Werk. Eine Anatomieszene. Allerdings scheint sie nur aus den Porträts einiger höchst uninteressanter Personen zu bestehen. Sehr bedauerlich.“
Der Mann war etwa doppelt so alt wie ich und halb so alt wie der Meister. Seine weizenfarbenen, schulterlangen Locken umrahmten das Gesicht wie einen Heiligenschein. Ein schmaler Oberlippenbart lief in einem Bogen von Mundwinkel zu Mundwinkel und erreichte seinen höchsten Punkt unterhalb der Nase. Unter seinem purpurroten Seidenanzug schimmerte ein Wams mit kostbarer Silberstickerei. Die Stimme klang sanft und melodisch, und er unterstrich seine Worte mit ausladenden Gebärden. Mein Blick fiel auf die feingliedrigen, gepflegten Finger, die ein goldener Wappenring zierte. Schamvoll versteckte ich meine Hände hinter dem Rücken, denn sie waren voller Farbflecke und rochen nach Leinöl und Harz.
„Ich habe Euch etwas aus Italien mitgebracht, mein lieber Rembrandt. Eine Leselupe, Ihr hattet doch häufiger über Eure schwachen Augen geklagt. Und das hier ist für Eure Tochter: Mandelbaisers, so luftig, dass sie wie ein zarter Hauch auf der Zunge zergehen.“
Der Besucher legte seine Geschenke auf den Tisch. Als er sich umdrehte, blieb sein Blick überrascht an mir hängen. Sein ebenmäßiges, für einen Mann wohl schön zu nennendes Gesicht wurde von einen flüchtigen, rätselhaften Lächeln erhellt.
„Nanu, Ihr hattet mir überhaupt nichts davon erzählt, dass Ihr einen neuen Schüler einstellen wolltet. Seit wann ist dieser hübsche Junge denn bei Euch?“
„Ich hatte mich kurzfristig dazu entschlossen. Der Junge heißt Samuel Bol, er arbeitet seit einem halben Jahr in meiner Werkstatt. Samuel, ich möchte dir Pieter Leyster vorstellen, den Virtuosen des Stilllebens. Er ist ein Nachbar und wohnt auf der anderen Seite der Straße, direkt an der Ecke zur Prinsengracht.“
Ich nickte dem Besucher wortlos zu, der dem Meister in leisem ironischen Tonfall antwortete, ohne mich eine einzige Sekunde aus den Augen zu lassen.
„Nicht doch, Ihr schmeichelt mir, lieber Freund. Eure wahre Meinung über die Darstellung des ‘Seelenlosen’, wie Ihr meine Malerei zu bezeichnen pflegt, ist mir schmerzlich bewusst.“
Tief und anhaltend schaute der Mann mich an, als wolle er bis in mein Innerstes vordringen. Verwirrt senkte ich den Blick.
„Samuel Bol. Welch wundervolle Melodie steckt in diesem Namen. Gleich dem sanften Plätschern eines von Schilf gesäumten Flüsschens an einem lauen Sommerabend.“
Was für ein eigenartiger Besucher. Niemals zuvor hatte sich jemand zu meinen Namen geäußert, geschweige denn an seinem Klang etwas Besonderes festgestellt. Der Meister wunderte sich offenbar nicht im Geringsten über die seltsamen Äußerungen seines Gastes, sondern ließ sich von dessen Reiseerlebnissen berichten.
„Wirklich bedauerlich, dass Ihr niemals in Italien wart, Rembrandt. Euch würden das milde Klima und die ganz unterschiedlichen Landschaften sicherlich erquicken. Was allerdings
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