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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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Sie glauben uns nicht, hab ich recht?«
    Dr. Parker sah sie mit einem Lächeln an. »Weißt du, Annabel, ihr seid Teenager. Lügen ist quasi eure zweite Muttersprache.«
    Annabel musste an Eric denken. Ihm hätte so ein origineller Satz sicher gefallen. Sie konnte darüber nicht lachen. Natürlich log sie. Sie log, wenn sie mehr Taschengeld brauchte. Sie log, wenn sie sagte, dass zu der Party am Wochenende nur Mädchen kommen würden. Sie log, wenn sie behauptete, sie habe noch nie im Leben an Sex gedacht. Sie log ständig, wenn es sich um solche Dinge handelte, und es war aus ihrer Sicht einfach lebensnotwendig. Aber hier und jetzt, bei so einer wichtigen Sache, gefangen in einer Irrenanstalt, ängstlicher und einsamer, als sie es je in ihrem Leben gewesen war, log sie nicht. Und es machte sie wütend, dass jemand, der sie gar nicht kannte, das von ihr annahm.
    »Aber um deine Frage zu beantworten, ich weiß es nicht. Ich habe natürlich meine Vermutungen. Aber solange ich mir nicht absolut sicher bin, was mit euch los ist, darf ich kein Risiko eingehen. Betrachtet euch bis dahin einfach als meine Gäste.«
    Du meinst, als deine Gefangenen.
    Der Arzt stand von seinem Stuhl auf und lehnte sich an die Fensterbank. Er betrachtete Annabel nachdenklich. »Bist du bereit? Dann würde ich dir jetzt gerne ein paar Fragen stellen.«
    Die nächsten vierzig Minuten waren für Annabel weniger schlimm, als sie befürchtet hatte. Einige der Fragen waren sogar ganz interessant, weil sie sich gezwungen sah, ihre Situation von allen möglichen Seiten zu betrachten. Doch je mehr sie von ihrer anfänglichen Angst verlor, desto tiefer empfand sie ein Gefühl der Trauer darüber, dass all das Stochern und Bohren sie niemals auch nur in die Nähe einer Antwort führte.
    All die klugen Fragen nach eventuellen Symptomen und Beschwerden, Halluzinationen und Wahnvorstellungen, bekannten organischen Erkrankungen, dem schulischen Werdegang und ihrem Sozialverhalten förderten letztendlich nur eins zu Tage: dass keiner in diesem Zimmer auch nur die geringste Ahnung hatte, was wirklich los war. So empfand es zumindest Annabel.
    »In Ordnung. Das war wirklich… sehr aufschlussreich.«
    Als Dr. Parker schließlich seine Notizen beiseiteschob und zu ihr aufschaute, erkannte Annabel, dass sein Blick sich verändert hatte. Deutlich konnte man die Verwunderung und Neugier darin erkennen.
    »Weißt du, ich muss zugeben, ich bin ein wenig verwirrt, Annabel. Es mag für einen Psychiater nicht besonders clever sein, so etwas vor seiner Patientin zuzugeben, aber ich fürchte, ich schulde dir eine Entschuldigung.«
    Annabel traute ihren Ohren nicht.
    »Wenn du mir jetzt noch mal dieselbe Frage stellen würdest, ob ich euch glaube… dann müsste ich zugeben, dass ich mit meiner Vermutung vielleicht doch falschlag.«
    Annabel zögerte. »Und ist das nun gut oder schlecht?«
    »Es ist zumindest sehr spannend. So einen Fall hatte ich noch nicht. Ich kann mich auch nicht an einen ähnlichen Fall aus der Fachliteratur erinnern.« Dr. Parker nahm die Brille ab und putzte die Gläser mit einem Taschentuch. »Ich war wirklich überzeugt davon, dass ihr uns irgendeine Art von makabrem Streich spielt. Aber die Art und Weise, wie du meine Fragen beantwortet, wie du mitgearbeitet hast, deine offensichtliche Neugier, das alles hat mich ziemlich überrascht. Genaueres kann ich allerdings erst sagen, wenn ich mit den drei Jungs gesprochen habe und wir euch gründlich untersucht haben.«
    Annabel spürte, wie gut seine Worte taten. Er nahm sie ernst – und vielleicht würde er ihnen ja tatsächlich helfen können. Sie rieb sich über die müden Augen.
    »Ich glaube, das war für’s Erste genug. Du kannst aber jederzeit zu mir kommen, wenn du über etwas reden willst. Egal, was es ist.«
    »Ja, danke.« Annabel stand auf, aber dann hielt sie noch einmal inne. »Schwester Shelley meinte, wir sollten Sie fragen, ob wir jemanden anrufen dürfen. Freunde oder Verwandte.«
    »Ein Anruf? Nach draußen?«
    »Ja. Ich dachte, vielleicht hilft es ja, wenn ich erst mal am Telefon mit meinen Eltern rede. Und vielleicht… ich würde auch gerne meine Freundin Beth anrufen.«
    »Wie schon gesagt, Annabel. Ich werde euren Fall ganz neu überdenken. Und wenn ich sehe, wie du versuchst, mich dabei zu unterstützen, bin ich wirklich guter Hoffnung, was deine Heilung angeht. Dennoch halte ich diese Anrufe im Moment noch nicht für ratsam. Ich möchte nicht, dass sich dein Zustand durch ein

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