Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
Vom Netzwerk:
aber nicht um und ging langsam weiter.
    »Michael!«
    Die Stimme eines Mannes, wahrscheinlich ein Pfleger, hallte vom Treppenhaus zu ihm herüber. Michael tat, als hätte er ihn nicht gehört. Verdammt! Er konnte jetzt nicht zurück, er brauchte noch etwas Zeit.
    »Hey, Michael! Bist du taub?« Die Stimme wurde lauter, aggressiver.
    Michael suchte nach einem Ausweg. Links von ihm entdeckte er eine unscheinbare Tür. Sie war schmaler und niedriger als die anderen und ohne Rahmen. Der Schlüssel steckte im Schloss. Er war Teil eines großen Schlüsselbundes. Ohne zu wissen, was ihn erwartete, öffnete Michael die Tür, schlüpfte hindurch und zog sie hinter sich zu. Ein Treppenhaus, muffig und düster, empfing ihn. Rauf oder runter? Michael gab Vollgas.
    Er stürmte die engen Steinstufen hinab, nahm mehrere auf einmal und prallte immer wieder mit der Schulter gegen die Wand, während seine Hände Halt suchend über den rauen Stein glitten. Ein Fehltritt und er würde sich das Genick brechen. Dass er auf dem Weg in den Keller war, hielt er für eine gute Entscheidung. Denn wenn die Klinik etwas zu verbergen hatte, dann mit Sicherheit dort.
    Als er von oben das Geräusch einer zuschlagenden Tür hörte, wurde sein Lauf noch waghalsiger. Fast hätte er dabei den entgegenkommenden Mann umgerannt, der sich im letzten Moment mit dem Rücken gegen die Wand drückte. Michael nahm nur einen grauen Kittel und den strengen Geruch von Waschbenzin wahr.
    »Schön vorsichtig, Junge!«, rief er Michael hinterher. »Ein Sarg ist nicht der einzige Weg, hier herauszukommen. – Halt dich links!«
    Die Treppe beschrieb jetzt eine sanfte Kurve. Michael nahm die letzten Stufen im Sprung und rannte anschließend nach rechts einen Gang hinunter, immer weiter hinein in ein Labyrinth aus Gängen und Türen, offen verlegten Rohren und Leitungen. Der Keller war schlecht beleuchtet und verströmte eine beklemmende Atmosphäre. Michael verlangsamte sein Tempo und sah nach oben. Er wunderte sich über die auffallend hohe Decke, die starke Ähnlichkeit mit einem Kirchengewölbe hatte.
    Seit er in einen schmalen Seitengang abgebogen war, hatte er das Gefühl, als wäre die Temperatur deutlich gestiegen. Zuerst dachte er, die Lauferei wäre schuld daran. Doch dann spürte er einen warmen Luftstrom auf seinem Gesicht und sah am Ende des Ganges eine offene Metalltür. Der Raum entließ ein schwaches gelbliches Licht, das sich wie ein dünner Teppich vor seine Tür legte. Michael hörte ein leises Zischen.
    Da sein Verfolger im Moment weder zu hören noch zu sehen war, nutzte er die Gelegenheit und schlich sich an. Auch wenn es wahrscheinlich nur der Heizungskeller war.
    Er hielt sich dicht an der Wand und steckte zaghaft den Kopf durch die Tür. Und genau wie bei dem gefesselten Jungen konnte er nicht anders, als gebannt auf das unerwartete Bild zu starren, das sich ihm bot.
    Michael sah eine Treppe und eine Rampe, über die man in einen großen abgesenkten Raum gelangte, der wegen der ohnehin schon hohen Decke wie ein unterirdischer Saal anmutete. Der Boden war, bis auf eine kreisrunde Fläche in der Mitte, aus grauem Stein und die Wände waren mit türkisgrünen Kacheln bestückt. In der Mitte des quadratischen Raumes standen elf fahrbare Betten, sternförmig angeordnet. Unter ihnen war der Steinboden durch ein Metallgitter ersetzt worden. Dampf stieg in regelmäßigen Stößen daraus hervor. Das Ganze erinnerte an eine riesige Sauna.
    Eine hagere grauhaarige Schwester mit faltigem Gesicht ging von Bett zu Bett und notierte etwas auf einem Klemmbrett. Ihr schien die Hitze überhaupt nichts auszumachen. Soweit Michael das erkennen konnte, schwitzte sie nicht einmal. Auf den Betten lagen Männer und Frauen, eingewickelt wie Mumien in weiße Laken, nur ihre Köpfe schauten heraus. Michael konnte zuerst nicht sagen, ob sie noch lebten, doch dann öffnete einer von ihnen die Augen. Die Schwester beugte sich zu dem Mann hinab und hielt ihr Ohr an seinen Mund. Als sie sich wieder aufrichtete, schaute sie Michael direkt ins Gesicht und legte den Zeigefinger an die Lippen, etwa drei Sekunden lang. Dann ging sie wieder ihrer Beschäftigung nach und ignorierte seine Anwesenheit.
    Sehr eigenartig. Doch gerade als er es geschafft hatte, sich von dem faszinierenden Anblick loszureißen, hörte er, wie sich jemand vom Gang her näherte. Da es keinen anderen Ausweg gab, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich ein paar Schritte hinter der Tür an die Wand zu

Weitere Kostenlose Bücher