Remember
diesem verdammten Haus eingesperrt. Aber warum? Weil sie etwas wusste? Weil sie ihnen helfen wollte? Oh, mein Gott!
»April«, flüsterte Annabel und wurde Zeuge einer Verwandlung.
Die Frau, die sich eben noch wie eine Furie verhalten hatte, legte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatten sich ihre Gesichtszüge entspannt und sie blickte sanft, so, als hätte der Klang ihres eigenen Namens etwas in ihr ausgelöst. Annabel konnte regelrecht sehen, wie etwas hinter ihren Augen aufleuchtete, wie etwas längst verschollen Geglaubtes in ihr Bewusstsein zurückkehrte. Der Griff um ihre Schultern lockerte sich.
»Nehmt mich bitte mit!«, sagte April Fay leise. »Bitte!«
Annabel war kurz davor, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie hatte plötzlich so sehr das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen, in ihre eigene schreckliche Zukunft, dass sie anfing zu weinen. »Ich… wie soll ich…«, stammelte sie. Dann entfuhr ihr ein spitzer Schrei, als April mit einem kräftigen Ruck von ihr weggezogen wurde. Sie sah Michaels Gesicht über Aprils Schulter. Er hatte von hinten die Arme um sie geschlungen und hielt sie fest. Die Frau wehrte sich nicht.
»Tu ihr nicht weh, Michael!«, rief Annabel. »Tu ihr bitte nicht weh!« Sie sah die Verwirrung auf seinem Gesicht.
Im nächsten Moment kamen zwei Pfleger und Schwester Shelley ins Zimmer gerannt.
»Kannst sie loslassen, Junge«, sagte einer der Männer. »Wir übernehmen das.«
Sie hielten April Fay fest und gaben ihr eine Spritze in den Oberarm. Und die ganze Zeit über sah Annabel sie an, mit diesem herzzerreißenden, flehenden Blick. Annabel hielt sich die Hände vor den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen.
»Bringt sie zurück!«, herrschte Schwester Shelley die Pfleger an. »Und achtet darauf, dass so was nicht noch einmal passiert!«
Die Pfleger führten April Fay aus dem Zimmer.
Schwester Shelley war schon an der Tür, da kehrte sie noch einmal um. Annabel versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten, aber es gelang ihr nicht. Sie wusste nur, dass er nichts Gutes verhieß.
»Hör zu, Annabel«, sagte die Schwester und schien dabei die Anwesenheit von Michael und dem Hausmeister gar nicht wahrzunehmen. »Mir ist bewusst, dass ich dir vorhin nicht die Wahrheit gesagt habe. Aber ich hatte meine Gründe. Ich weiß genau, warum du heute nach Miss Fay gefragt hast.«
Annabel stockte der Atem und sie ließ die Arme fallen. Sie wusste es. Jetzt war alles aus.
Doch Shelleys unergründlicher Blick wurde mit einem Mal von einem zarten Lächeln abgelöst und ein paar hübsche Grübchen zierten ihre Wangen. »Ich weiß, dass du anfängst, dich selbst in den anderen Patienten zu sehen«, sagte sie mit einfühlsamer Stimme. »Du denkst, dass dir das Gleiche passieren könnte, hab ich recht?«
Annabel deutete ein Nicken an. Es war gespenstisch, aber sie war auch erleichtert. Shelley kannte tatsächlich ihre Gedanken, doch zum Glück kannte sie nicht alle, nicht die, auf die es jetzt wirklich ankam.
»Schätzchen, das geht allen so. Und es tut mir leid, weil ich lange genug dabei bin, um zu wissen, was du durchmachst. Was ihr alle durchmacht.« Nun sah sie zum ersten Mal auch Michael an. »Bis nicht geklärt ist, was mit dir und deinen Freunden ist, malt ihr euch die schlimmsten Sachen aus. Und wenn ihr dann jemanden wie die arme Miss Fay seht, dann… Ich hab es dir nicht erzählt, weil sich ihr Zustand so sehr verschlechtert hat und ich dich nicht beunruhigen wollte. Du hast es ja eben selbst erlebt. – Verstehst du das?«
»Ja«, sagte Annabel, ohne zu zögern, und fragte sich gleichzeitig, was an Shelleys Beichte Lüge war und was Wahrheit. Wie sollte sie es erkennen? Ihre Worte klangen so logisch, so richtig, so wahr. Aber vielleicht war genau das ihr Trick. Vielleicht trieb man einen Menschen am schnellsten in den Wahnsinn, indem man Lüge und Wahrheit geschickt und bis zur Unkenntlichkeit miteinander verwob.
Es ist unwahrscheinlich, dass vier Menschen, die nichts miteinander zu tun haben, sich genau das Gleiche einbilden. Ja, das war es, woran sie sich halten sollte. Shelley log. Es musste so sein. Danke, George.
»Habt einfach Geduld. Manchmal ist ein wenig Zeit das Einzige, was man braucht, um wieder gesund zu werden. Ihr werdet sehen.«
Manchmal ist Zeit das Einzige, was man nicht hat, du falsche Hexe.
Annabel und Michael nickten stumm. Und Shelley verschwand.
»Mensch, das war wirklich mehr Aufregung, als für einen
Weitere Kostenlose Bücher