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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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bei seinem ersten Besuch nur einen flüchtigen Blick darauf geworfen hatte, schien sich Michael, was den Zustand des mittleren Fensters betraf, nicht getäuscht zu haben. Es sah aus, als würde es jeden Moment von selbst herausfallen. Und das Wichtigste: Es war nicht mit einem Gitter gesichert. Vermutlich hielt man es nicht für nötig, weil die Verrückten hier unten nicht aus den Augen gelassen wurden. Oder weil die meisten so zugedröhnt waren, dass sie an Flucht nicht einmal dachten. Oder weil das verdammte Scheißding sich nicht öffnen ließ, sosehr er auch daran rüttelte. Es saß viel fester in der Wand, als es den Anschein hatte.
    »Verdammter Mist!«, zischte Michael. Er stand auf der Kloschüssel, drehte sich um und schaute in enttäuschte Gesichter. »Wir müssen es einschlagen. Wir brauchen einen Stein oder so was. Etwas Schweres, Handliches.«
    Sie suchten das Klo ab. George fand eine Kachel, die aus der Wand gebrochen und auf den Boden gefallen war. Michael überlegte. Sie brauchten noch etwas, um die Kachel einzuwickeln, damit der Lärm sie nicht verriet.
    »Knotet schon mal die Laken zusammen«, sagte er. »Ich kümmere mich um das Fenster.«
    »Soll ich dir helfen?«, fragte George.
    »Nein, hier ist nicht genug Platz.«
    Während Eric und George mit Annabel die Laken zusammenknoteten, zog sich Michael die Anstaltshose aus und wickelte sie um die Kachel. Dann stieg er auf die Kloschüssel und begann, so leise wie möglich das Fenster zu zerschlagen. Der Stoff um die Kacheln dämpfte die Schläge, aber er hatte dennoch das Gefühl, einen Riesenkrach zu machen.
    »Die Laken sind fertig«, sagte Annabel.
    »Bin gleich so weit. Ich will sichergehen, dass wir uns nicht verletzen.« Michael legte seine Hose auf den unteren Fensterrahmen, damit sie sich beim Rausklettern keine Glassplitter einfingen. »Okay, das war’s.«
    Michael stieg von der Kloschüssel und reichte Annabel die Hand. »Komm, Anna, du zuerst.«
    »Nein. Es ist besser, du gehst. Du bist kräftig und kannst uns hochziehen, falls es einer nicht schafft.« Sie warf ihm die Laken zu.
    Michael nickte. Er warf die Laken aus dem Fenster, stieß sich von der Toilette ab und stemmte sich problemlos hoch. Dann ließ er seinen Oberkörper nach vorne fallen und rutschte aus dem Fenster. Schnell räumte er die Scherben beiseite, die außerhalb des Fensters lagen. »Eric, ich brauch deine Hose.«
    Eric zog sie aus und warf sie ihm zu. Michael legte sie auf den Boden vor dem Fenster, für den Fall, dass er ein paar Scherben übersehen hatte. »Anna, jetzt du.«
    Doch Annabel sorgte dafür, dass Eric und George als Nächste an der Reihe waren.
    Michael war schon ein paarmal aufgefallen, wie geschickt und gelenkig Eric war, nicht nur bei der artistischen Nummer unter Parkers Tisch. Es sah beinahe anmutig aus, wie er aus dem Fenster glitt.
    George dagegen hatte echte Probleme. Als er es beim ersten Versuch nicht schaffte, stieg er leise fluchend von der Schüssel und drängte Annabel vorzugehen. Sie weigerte sich.
    »Anna, nun mach schon!«, forderte Michael. »Ich kümmere mich anschließend um George.«
    »Okay.«
    Als Annabel auf die Schüssel kletterte und Michael ihr die Arme entgegenstreckte, zischte sie ihn an. Er zog sie sofort zurück und Annabel, die einen Kopf kleiner war als er, stemmte sich ohne Schwierigkeiten nach oben und glitt geschmeidig aus der Fensteröffnung. Sie hockte sich neben ihn und Eric und schüttelte ihre roten Haare. Michael fragte sich einmal mehr, warum er Annabel in der Schule nie weiter beachtet hatte. Denn sie war wirklich etwas Besonderes.
    Überhaupt war der wichtigste Beitrag zu ihrer Flucht von ihr gekommen. Sie hatte aus dem Gedächtnis einen perfekten Lageplan des Parks gezeichnet, über den selbst George gestaunt hatte. Aus einer leicht erhöhten Perspektive schaute man auf die riesige Villa mit ihrem U-förmigen Grundriss, den Park mit seinem Teich, die zahlreichen Bäume sowie die umgebende Mauer mit dem großen Tor. Sie hatte nichts ausgelassen, sogar eine kleine Statue hatte sie eingezeichnet. Und natürlich den Baum, den einzigen Baum, über den eine Flucht über die Mauer möglich schien. »Das ist alles in meinem Kopf«, hatte sie ihnen erklärt und schüchtern gelächelt.
    »Mach schon, George!«, drängte Michael. »Hier kann uns jeden Moment jemand entdecken.«
    Doch die Warnung kam zu spät. Als George zu einem zweiten Versuch ansetzte, auf den Klodeckel stieg und Michael ihm die Hand entgegenstreckte,

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