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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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einen Freudensprung, als Michael und George endlich auf ihrer Seite der Mauer standen. Jetzt nichts wie weg hier. Sie wollte sich schon umdrehen, als sich unter das verstörende Jaulen der Sirene wieder dieses bösartige Knurren und Bellen mischte. Erschrocken sah sie hoch zur Mauer. Annabel vernahm ein undeutliches Scharren und Kratzen dahinter.
    »Das sind die Hunde«, sagte Eric panisch. »Die haben also wirklich Hunde.«
    »Habt ihr sie gesehen?«, fragte Annabel hastig.
    »Nicht direkt«, sagte Michael. »Aber… das müssen riesige Viecher sein.«
    »Nichts wie weg hier.« Und dann rannten sie wieder los. Es waren gut fünfhundert Meter bis zur Richmond Bridge und etwa auf halber Strecke verstummte die Sirene. Die plötzliche Stille hatte etwas Unheimliches. Doch was Annabel wirklich Sorgen machte, war Georges schweres Keuchen. Weil er immer langsamer wurde, feuerte sie ihn zusammen mit den anderen an, nicht aufzugeben – und er hielt durch. Doch als sie endlich die hell erleuchtete und menschenleere Brücke erreichten, blieb George unvermittelt stehen.
    »Ich kann nicht mehr«, sagte er und hielt sich die Seite, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt. »Lauft ohne mich weiter.«
    Annabel sah sich angstvoll um. Über die schulterhohe Brückenbegrenzung hinweg konnte sie den Uferweg erkennen, den sie gekommen waren. Noch waren keine Verfolger zu sehen und auch das Bellen der Hunde war leiser geworden.
    Vor ihnen schmiegte sich auf der linken Seite das Majestic, ein altes Luxushotel, ans Ufer der Themse, während rechts eine dichte Baumgruppe die breite Promenade säumte. »Wir könnten versuchen…«, sagte sie, doch als sie Michaels entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, riss sie den Kopf herum. »Oh nein!«
    Hinter ihnen am anderen Ende der Brücke standen zwei Pfleger und der Wachmann. Einer der weiß gekleideten Männer schien aufgeregt in ein Walkie-Talkie zu sprechen. Als er es wieder absetzte, liefen sie los.
    »Los, runter von der Straße!«, zischte Michael. »Ich werde versuchen, sie wegzulocken.«
    »Nein.« Annabel ließ die Männer nicht aus den Augen. »Wenn sie nur dich sehen, wissen sie doch gleich, was los ist. Ich komme mit dir.«
    Eric zögerte. »Dann bleibe ich bei George«, bot er an.
    »Okay«, sagte Michael. »Anna und ich versuchen, uns nach Kew durchzuschlagen. Wenn ihr glaubt, es nicht bis dahin zu schaffen, sucht euch ein Versteck und wartet einfach ab. Wir treffen uns um elf im Richfield Park. Los jetzt!«
    Die vier zögerten nicht länger. Gemeinsam rannten sie das letzte Stück bis zum Ende der Brücke, dann trennten sich ihre Wege.
    Mitten auf der Hill Street streifte Annabels Blick die hübsche Eingangsfront des alten Odeon-Kinos und sie dachte an die vielen schönen Stunden, die sie hier verbracht hatte. Wie sie gelacht und sich gefürchtet hatte, wie sie anschließend nach Hause gegangen war, den Kopf zum Bersten gefüllt mit Bildern und Musik, mit all den wunderbaren Fantasiegeschöpfen fremder Menschen.
    Vielleicht hatte sie sich einmal zu oft gewünscht, selbst Teil einer solchen Geschichte zu sein. Denn das war sie jetzt.
    Als sie neben dem Kino in eine schmale, schummrige Gasse einbog, merkte sie plötzlich, dass Michael nicht mehr neben ihr war. Sie drehte sich um und sah ihn regungslos vor der Eingangstür stehen. Er sah aus, als wäre er einem Geist begegnet. »Michael!«, rief sie und lief das Stück zurück. »Komm weiter! Sie sind direkt hinter uns!«
    »Hast du das gesehen?«, fragte er mit merkwürdig hoher Stimme und deutete auf eine der Glasvitrinen.
    Annabel warf einen kurzen Blick auf die Filmplakate. Es lief gerade Spiel mir das Lied vom Tod . Sie hatte von dem Film gehört. Aber es war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über Filme zu unterhalten. »Verdammt, komm endlich!« Sie drehte sich hastig um. Die drei Männer waren nur noch zwanzig Meter von der Hill Street entfernt. Und weil Michael immer noch wie ein Reh im Scheinwerferlicht die Plakate anstarrte, packte sie kurz entschlossen seinen Arm und zog ihn einfach hinter sich her in die Gasse.
    Nach fünfzig Metern öffneten sich die Wände zu beiden Seiten. Annabel ignorierte die Unitarier-Kirche auf der rechten und konzentrierte sich auf die frei stehenden Häuser auf der linken Seite. Vor einer alten Holzpforte blieb sie abrupt stehen. »Hier rüber!«, sagte sie und warf einen letzten Blick zurück. Der Abstand zu ihren Verfolgern war wieder größer geworden, aber noch hatten sie nicht

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