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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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auf den Weg zum Treffpunkt zu machen.
    Vor einer Toreinfahrt fiel sein Blick auf einen Hund, der sich über eine Tüte mit Abfall hermachte. Sein kleiner brauner, struppiger Körper steckte in dem, was offensichtlich sein frühes Mittagessen oder spätes Frühstück war. Ab und zu zog er seinen Kopf aus der Tüte und sondierte die Lage. Er trug kein Halsband. Da er in George keine unmittelbare Gefahr sah, machte sich der Streuner wieder an die Arbeit und wühlte und futterte weiter. Sein kurzer Schwanz wedelte aufgeregt hin und her.
    George hatte in den letzten Tagen viel Frust und Wut angestaut. Und da kam ihm ein herrenloser Hund gerade recht. Im Vorbeigehen verpasste er dem Tier einen Tritt, der es ein paar Meter die Toreinfahrt hinaufbeförderte. Ein kurzer erstickter Jauler entfuhr dem kleinen Körper. Aber dann schüttelte der Hund sein dreckiges Fell, hob den Kopf und warf George einen gelangweilten Blick zu. Offenbar war er eine solche Behandlung gewohnt.
    George ging weiter die Straße entlang, zwischen dreistöckigen Backsteinhäusern, alle hellbraun, alle ganz hübsch und alle irgendwie zum Kotzen, dachte er. Vor einem Zweifamilienhaus mit blauen Türen war eine junge Frau gerade dabei, ihre Einkäufe aus dem Auto zu holen und ins Haus zu tragen. Die Türen ihres dunkelblauen Morris 1100 waren geöffnet. Sie lächelte George zu, als sie ihn sah, und griff sich dann die nächste Tüte. George tat, als habe er ihr stilles Hallo nicht bemerkt, und schaute in eine andere Richtung. Als die Frau im Haus verschwand, blieb er stehen.
    Alles sah so friedlich und idyllisch aus, dachte George. Das Haus, das saftige Grün, das über die Begrenzungsmauer wucherte, und die zwei stattlichen Birken, die sich auf der rechten Seite dem Dach entgegenneigten. Was würde wohl geschehen, wenn er der Frau seine Geschichte erzählte, fragte er sich.
    Wahrscheinlich würde sie ihn verständnislos anstarren, ein paar Schritte zurückgehen und mit dem Finger in Richtung Anstalt zeigen – da gehörst du hin, da ist dein Platz. Vielleicht hätte sie ein bisschen Angst vor ihm.
    Da komme ich gerade her, würde er dann sagen und geheimnisvoll lächeln und dabei vielleicht langsam auf sie zugehen, nur, um zu sehen, was passiert, nur, um zu sehen, ob er es könnte.
    Ob sie davonlaufen würde in ihr nettes Haus, zu ihren netten Kindern und ihrem netten Mann? Solche Dinge geschehen nicht, würden sie einander zuflüstern und sich in die Arme schließen. Nicht hier, nicht in dieser netten Gegend, nicht bei so netten Menschen, nicht in so einem netten Leben.
    Aber George wusste, dass nett der Mantel war, unter dem man alles verbergen konnte. Wirklich alles.
    Auf dem Rücksitz des Wagens, direkt an der Tür, stand ein geflochtener Korb mit Lebensmitteln. Und zwischen einer Staude Bananen, ein paar Konservendosen und einer Keksschachtel steckte das rotbraune Portemonnaie der Frau.
    Einem Impuls folgend sah George sich um, ging rasch zum Auto, schnappte sich die Geldbörse und die Kekse und setzte seinen Weg fort, als wäre nichts geschehen. Sein Herz raste. Er hatte sich die Beute unter das Hemd geschoben und hielt sie mit einer Hand fest. Schweiß rann seinen Rücken hinab. Am Ende der Straße bog er rechts ab.
    Es würde eine Weile dauern, dachte George, bis die Frau merken würde, dass ihr Portemonnaie verschwunden war. Und natürlich würde sie vermuten, es beim Einkaufen verloren zu haben oder im Auto. Es bestand also kein Grund wegzulaufen. George drehte sich um. Niemand war hinter ihm her. Er beruhigte sich.
    Langsam ging er weiter und holte das Portemonnaie hervor. Als er es aufklappte, lachten ihn die Augen eines kleinen blonden Mädchens und ihres Vaters an. Sie saßen auf einer Couch und der Vater hatte seinen Arm um seine Tochter geschlungen. Er zog das Foto heraus und knüllte es zusammen. Achtlos warf er es auf die Straße.
    George fand ein paar Pfundnoten und etwas Kleingeld. Zwei von den Scheinen steckte er sich hinten in die Hosentasche, den Rest in eine andere. Nach ein paar Metern ließ er die Geldbörse unauffällig hinter einer niedrigen Mauer fallen.
    Während er einen Keks nach dem anderen in sich hineinstopfte, stellte er sich vor, wie die anderen beim Anblick des Geldes reagieren würden. Und er freute sich schon auf ihre blöden Gesichter, wenn sie erkannten, dass ausgerechnet er ihnen aus der Patsche geholfen hatte und sie ihm die ganze Zeit unrecht getan hatten, die ganze verdammte Zeit.
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    »Schon gut, Anna. Hör

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