Remember
Trennung von den anderen, das Boot. Und dann erkannte er Eric, der sich über ihn gebeugt und ihm die Hand auf den Arm gelegt hatte. George riss sofort seinen Arm weg.
»Schon gut«, sagte Eric. »Beruhige dich wieder. Du hast geträumt.«
»Scheiß auf den Traum«, fauchte George und richtete sich auf. »Ich will nicht, dass du mich anfasst, ist das klar?«
Eric wich zurück und starrte George verständnislos an. »Ja, alles klar. Kommt nicht wieder vor.«
George rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht, fluchte leise und legte sich wieder hin.
Für einen kurzen Moment fragte er sich, wie es wohl wäre, mit jemandem über seine Träume zu sprechen. So wie Eric es mit Michael getan hatte in der letzten Nacht. Aber nicht einmal in seinen Gedanken war er dazu fähig. Er hatte einfach nicht das Bedürfnis, sich jemandem anzuvertrauen. Niemandem.
Und schon gar nicht Eric.
20
»Es ist schön hier«, sagte Annabel und bestaunte die vom Mondlicht beschienenen Pflanzen. So muss es im Garten Eden ausgesehen haben.
»Ja«, sagte Michael und streckte sich auf seiner Bank aus. »Hierherzukommen war eine tolle Idee von dir.«
Annabel betrachtete die große Palme, die der gläsernen Decke entgegenstrebte, und lächelte. Im ersten Moment hatte sie der Anblick der hohen Mauer, die das Gelände von Kew Gardens umgab, erschreckt. Unwillkürlich war ihr der Gedanke gekommen, dass sie das Gefängnis, aus dem sie gerade geflohen waren, freiwillig durch ein anderes ersetzt hatten. Doch nachdem sie über das große Eisentor des botanischen Gartens geklettert war und das riesige viktorianische Glashaus erblickt hatte, wurde ihr klar, dass das alles nur Unsinn war. Dieser wunderbare Ort hatte so gar nichts mit der Anstalt gemein. Nun lagen sie auf zwei Sitzbänken inmitten einer fremden Welt aus exotischen Pflanzen, umschlossen von einem dünnen Mantel aus Eisen und Glas. Annabel konnte sich keinen schöneren Ort vorstellen.
»Wie hell der Mond und die Sterne leuchten. Selbst jetzt mitten in der Nacht wird es hier drin nicht richtig dunkel.«
»Der Himmel über unserem Haus am See, da leuchten die Sterne noch heller als hier. Es wird dir gefallen.«
Annabel schloss die Augen und es sah für einen Moment so aus, als sei sie eingeschlafen. Doch dann drehte sie sich auf die Seite und sah Michael an. »Ich weiß, es klingt albern, aber… ich mag die Dunkelheit nicht. Sie macht mir Angst. Kannst du dir das vorstellen? Richtige Angst.«
Michael betrachtete ihr ernstes Gesicht. »Heute Nacht brauchst du keine Angst zu haben.«
Für eine Weile schwiegen sie, schenkten sich ab und zu ein Lächeln und sahen dem Mond und den Sternen beim Leuchten zu.
»Darf ich dich was fragen, Michael?«
»Klar.«
»Hast du Angst?«
»Ja.«
Annabel sah überrascht aus.
»War das nicht die Antwort, die du erwartet hast?«
»Was? Nein… ich meine… ich find’s nur ungewöhnlich, dass du es sofort zugibst.«
»Dürfen nur Mädchen Angst haben?«
Annabel lachte leise. »Die meisten Jungs würden wahrscheinlich versuchen, mich vom Gegenteil zu überzeugen, und den Helden spielen.«
»Auch Helden sind mal müde, Anna.«
Annabel kicherte. Dann wurde sie wieder ernst. »Weißt du, was schön ist? – Wenn man nicht alleine ist mit seiner Angst.«
Michaels Blick ruhte auf ihr. »Du bist nicht allein. – Und morgen werden wir wieder alle zusammen sein.«
Als Michael aufwachte und die Bank neben sich leer fand, schreckte er panisch hoch. Er wollte gerade Annabels Namen rufen, als er sie auf der Galerie entdeckte, die in schwindelerregender Höhe um das Gewächshaus verlief.
Sie saß dort oben am Geländer und wiegte sich langsam hin und her. Sie erschrak, als Michael plötzlich neben ihr stand.
»Ich hab dich nicht kommen hören.«
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Kannst du nicht schlafen?«
Annabel sah ihn nur müde und verloren an. Michael setzte sich zu ihr.
»Ich warte auf die Sonne«, sagte Annabel.
»Dann warte ich mit dir.«
»Und wenn sie nicht kommt? Was, wenn es für immer dunkel bleibt?«
Michael dachte zuerst an einen Scherz. Doch sie meinte es ernst. Er fragte sich, warum sie solche Angst vor der Dunkelheit hatte.
»Keine Sorge, sie wird kommen. Das macht sie jeden Morgen. Sie weiß, was sich gehört. – Und vielleicht freut sich die Sonne ja genauso darauf, dich zu sehen. Ich…«, er stockte, »... ich würde mich freuen.«
Annabel lächelte und Michael spürte, wie sie ihren warmen Körper an seinen
Weitere Kostenlose Bücher