Remember
schmiegte. Es gab in diesem Moment keinen Ort, an dem er lieber wäre als hier neben ihr. Seinetwegen brauchte die Sonne sich nicht zu beeilen.
Zusammen blicken sie in Richtung Osten auf die dunklen Silhouetten der Bäume und warteten. Michael war fast ein wenig traurig, als es passierte.
»Michael… die Sonne!« Annabels Gesicht erstrahlte. Sie erhob sich.
Michael stellte sich dicht neben sie und schaute sie an. Er sah sie lächeln und gleichzeitig weinen. Und dort, wo sich ihre Schultern berührten, konnte er spüren, wie sie leicht zitterte.
»Hast du schon mal so was Schönes gesehen?«, fragte Annabel.
Hinter den Bäumen loderte es wie Flammen nach einer Schlacht. Der Himmel verfärbte sich und erstrahlte in leuchtendem Gold, Purpur und Blau.
»Nein«, antwortete Michael.
Doch er meinte nicht das Naturschauspiel, sondern Annabel.
Ein paar Minuten später wischte sich Annabel schniefend die Tränen vom Gesicht und schaute Michael an, als wäre ihr das Ganze furchtbar peinlich. »Ganz schön albern, was?«
Michael schüttelte lächelnd den Kopf.
»Wir haben noch etwas Zeit, bis der Garten öffnet. Meinst du, du kannst noch ein bisschen schlafen? Jetzt, wo deine kleine gelbe Freundin wieder da ist?«
Annabel nickte heftig. Dann legte sie ihren Kopf zur Seite und schenkte Michael ein Lächeln. »Bleibst du bei mir?«
»Ja.«
Eng aneinandergeschmiegt lagen sie auf der Galerie. Die Sonne streichelte sanft ihre Gesichter und breitete eine goldene Decke über sie aus. Nicht lange, und sie fielen in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
21
George hatte sich am Morgen heimlich vom Boot geschlichen. Die Nacht war schrecklich gewesen und der Gedanke an einen neuerlichen Streit mit Eric unerträglich. Er musste da einfach raus, auch wenn er nicht wusste, wohin. Anfangs hatte er mit dem Gedanken gespielt, nach Hause zu gehen, aber die Angst vor dem, was ihn dort erwarten könnte, war zu groß gewesen. Schließlich war er ziellos umhergeirrt. Jetzt ging er langsam die Vineyard hinauf, etwa einen halben Kilometer von ihrem Treffpunkt im Richfield Park entfernt.
George dachte darüber nach, warum er Eric gegenüber so eine Abneigung empfand, warum er ihn von Anfang an nicht hatte leiden können. Es war gar nicht mal die Tatsache, dass er schwul war oder schwarz. George war kein Rassist. Und obwohl es ihm manchmal unangenehm war, wegen Erics sexueller Neigung in dessen Nähe zu sein, war auch das nicht der eigentliche Grund. In Wahrheit hasste er ihn dafür, dass er scheinbar kein Problem damit hatte, anders zu sein. Im Gegenteil. Er feierte es geradezu und er schien sogar einen Teil seiner Stärke daraus zu ziehen. Aber wie kann man zufrieden, ja glücklich sein, wenn man doch so anders war als die anderen? Und was noch schlimmer war: Obwohl Eric kein Geheimnis aus seinem Anderssein machte, gehörte er dazu. Annabel und Michael mochten ihn, fanden ihn lustig und behandelten ihn wie einen richtigen Freund. Sie würden alles für Eric tun, davon war George überzeugt. Aber für ihn?
Vielleicht, wenn er sich mehr anstrengen würde, wenn er versuchen würde, ihnen zu beweisen, dass auch er etwas zu ihrer Gruppe beizusteuern hatte, etwas, das wichtig war, etwas, das sie alle brauchten, etwas, das…
George spürte ein leichtes Kribbeln und verlangsamte seinen Schritt, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss. Natürlich! Geld! Sie brauchten Geld, um zum Haus am See zu fahren. Er könnte es beschaffen, einen ganzen Haufen davon und dann würden sie…
Er blieb stehen und schloss die Augen.
Es gab weit und breit niemanden, den er kannte. Und Freunde hatte er auch nicht. Seine Chancen, an Geld zu kommen, waren gleich null.
Sein Gesicht lief rot an und seine Hände wurden feucht. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut. Das nasskalte Gefühl des Versagens, das ihn überkam, wenn er versuchte, wie alle anderen zu sein, das zu tun, was die anderen taten. Und je mehr er sich bemühte, desto größer war sein Scheitern, desto deutlicher wurde, dass er nicht dazugehörte.
So war es doch immer. Warum hätte es diesmal anders sein sollen?
George wartete. Er kannte das Gefühl und wusste, dass es irgendwann nachlassen und schließlich wieder verschwinden würde. Dann wäre er wieder alleine mit sich und der inneren Leere. Sie hielt keine bösen Überraschungen für ihn bereit und konnte ihn auch nicht verletzen. Mehr als diese Leere brauchte er nicht.
George beschloss, noch eine Weile in der Straße herumzulaufen und sich dann
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