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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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auf, mich mit diesem mitleidsvollen Dackelblick anzusehen! Mir geht’s gut. Wir sind nicht tot und das ist nur ein Friedhof. In Ordnung?«
    »Okay«, sagte Annabel.
    Kurz vor Öffnung des botanischen Gartens hatten Annabel und Michael das Gewächshaus verlassen und sich ein Versteck in den umgebenden Grünanlagen gesucht. Und als die ersten Besucher eintrafen, waren sie wenig später wie zwei einfache Touristen zum Vordereingang hinausspaziert. Jetzt waren sie auf dem Weg zu ihrer Schule, weil Michael eine Möglichkeit eingefallen war, an Geld zu kommen.
    Die Oldcue School lag am Rand des Richmond Parks. Dummerweise führte sie ihr Weg genau zwischen den beiden großen Friedhöfen von Mortlake und North Sheen hindurch. Obwohl ein dichter Bewuchs die Sicht auf die Gräber stark einschränkte, war Annabel ein bisschen besorgt. Michael hatte seit ihrer Flucht seine Todestheorie nicht mehr erwähnt. Doch sie glaubte nicht daran, dass er sie so einfach vergessen hatte. Sie erinnerte sich an seine Aussetzer, heute Nacht vor dem Kino oder der Kirche. Michael glaubte wahrscheinlich, dass sie sie nicht bemerkt hatte, aber da irrte er sich. Doch sie hatte Angst, ihn direkt danach zu fragen. Nicht nur, weil es ihn verletzen könnte. Es war auch die Angst vor neuen mysteriösen Geheimnissen, vor Dingen, die keiner erklären konnte und die einem den Schlaf raubten. Sosehr sie ihn mochte, sie musste auch sich selbst schützen.
    Als sie die Upper Richmond Road erreichten, eine der Haupteinkaufsstraßen des Bezirks, blieb Michael stehen.
    »Hör mal, Anna, ich glaube, es ist besser, wenn ich das alleine mache. Du solltest schon mal…«
    »Was soll das denn heißen? Ich komme natürlich mit.« Annabel starrte ihn fassungslos an.
    »Anna, bitte! In zwanzig Minuten beginnt das Rugbytraining. Ich werde ein paar von meinen Leuten bitten, mir etwas Geld zu leihen. Wird vermutlich kein Problem werden. Aber ich mach das besser allein.«
    »Und warum, bitte schön?»
    »Es ist einfach sicherer«, sagte er. »Geh zu unserem Treffpunkt. Vielleicht sind die anderen ja auch schon da. Ich komme nach, sobald ich das Geld habe.« Ohne ein weiteres Wort lief er über die Straße und ließ Annabel stehen.
    »Du kannst mich doch nicht…«, rief sie ihm hinterher, aber er drehte sich nicht um.
    So ein Idiot! Wie konnte er ihr das antun? Nach allem, was sie zusammen erlebt hatten… nach so einer romantischen… So ein Vollarsch! Als ob er hier der Einzige wäre, der Geld besorgen könnte. Sie hätte ihn am liebsten zusammen mit den blöden Amerikanern auf den Mond geschossen, da, wo er hingehörte.
    Passend zu ihrer Stimmung verdunkelte sich der Himmel und ein entferntes Grollen kündigte das Heraufziehen eines Sommergewitters an. Sie vergrub die Hände in den Hosentaschen und kickte voller Wut einen kleinen Stein auf die Straße. Er verfehlte den Kotflügel eines vorbeifahrenden Taxis nur um Haaresbreite.
    Doch als sie ein paar Pennys in ihrer Tasche ertastete, hatte sie plötzlich eine Idee. Nicht genug für ein Frühstück, dachte sie, aber…
    Sie sah sich aufgeregt um. Es war Samstagvormittag. Die kleinen Geschäfte, die die Straße säumten, waren gut besucht. Sie musste sich recken, um über all die Leute zu spähen. Aber kurz darauf wurde sie fündig und machte sich sofort auf den Weg. Gegenüber einer Bushaltestelle wechselte sie auf die andere Seite.
    Eine junge Frau, die auf den Bus wartete, winkte ihr zu. Sie trug Sandalen, ein farbenfrohes langes Kleid mit einem breiten Ledergürtel und einen braunen Schlapphut.
    »Hey, Schwester, ich mag deine Farben!«, sagte sie fröhlich.
    »Und ich mag deinen Hut«, sagte Annabel im Vorbeigehen. Sie war ein großer Fan der Hippie-Mode und unter normalen Umständen hätte sie sich gerne mit der Frau unterhalten. Doch Mode war im Moment das Letzte, worüber sie reden wollte.
    Nach etwa einhundert Metern, an der nächsten Straßenecke, blieb sie stehen, plötzlich ängstlich und unsicher, ob sie das Richtige tat. Aber sie brauchte Gewissheit.
    Dann öffnete sie die Tür der Telefonzelle.
    Annabel stand in dem engen roten Häuschen und versuchte, ihre Aufregung in den Griff zu bekommen. Sie wollte nicht wie ein ängstliches Kind klingen, wenn jemand abnahm. Und sie wollte auf keinen Fall weinen. Um sich abzulenken, zählte sie Autos und Fußgänger, starrte auf das Straßenschild, direkt gegenüber und las die Worte Vine Street etwa ein Dutzend Mal. Schließlich gab sie es auf. Denn je länger sie

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