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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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höflich den Vortritt ließ, wurde Annabel allerdings etwas klar. Die Tatsache, dass sie niemanden erreicht hatten, war der endgültige Beweis dafür, dass George sie wegen der Quelle des Geldes belogen hatte.
    Sie bestiegen einen der fast leeren Waggons und setzten sich in ein freies Abteil. Gerade als Annabel sich auf einen Platz am Fenster fallen ließ, zerriss ein ohrenbetäubender Knall die Luft. Sie zuckte zusammen und lachte kurz auf, ohne dass sie es wollte. Es folgte ein donnerndes Grollen und selbst in dem Waggon konnte sie hören, wie der Regen auf das Bahnhofsdach prasselte. Als der Zug den Bahnhof verließ, liefen wahre Sturzbäche an der Scheibe herunter und ließen nur einen verschwommenen Blick auf die Umgebung zu.
    »Michael, wie lange fährt man nach Willowsend?«, fragte Eric.
    »Etwa eine Stunde. Es liegt nordöstlich von hier in Essex.« Michael griff sich eine liegen gebliebene Times und blätterte sie Seite für Seite durch, aber auch hier schien nichts über sie zu stehen.
    Bevor Annabel sich erneut den Kopf darüber zerbrechen konnte, stand ein Schaffner breitbeinig in der Tür.
    »Die Fahrkarten, bitte!«
    Sie kramten die Fahrkarten hervor und reichten sie ihm.
    »Dürfte ich mir einen Ihrer Stifte ausleihen?«, fragte Michael bei der Gelegenheit. »Ich würde gerne das Rätsel machen.«
    »Natürlich, einen Moment«, sagte der Mann, während er die Fahrscheine knipste. »Hier, mein Junge. Viel Spaß damit.«
    »Vielen Dank. Ich bringe ihn auch zurück, wenn wir wieder aussteigen.«
    »Freut mich zu hören. Eine schöne Fahrt wünsche ich euch.« Der Schaffner wechselte ins nächste Abteil.
    Annabel und Eric sahen erstaunt zu, wie Michael sich auf das Rätsel konzentrierte und recht zügig ein Wort nach dem anderen einsetzte.
    »Überrascht, dass ich lesen und schreiben kann?«, fragte Michael, als er wieder hochblickte. »Typisch. Alle denken immer, dass man als guter Sportler automatisch dämlich sein muss. Das nervt.«
    »Och, ich fang gleich an zu weinen«, sagte Eric.
    Annabel lachte. Ihre Wut auf Michael war endgültig verflogen.
    »Löst du wirklich gerade das verdammte Times- Rätsel?«, fragte Eric ungläubig. »Oder schreibst du da nur irgendwelche Buchstaben rein? Oder Kreuze?«
    Michael reichte Eric das Rätsel. »Die Dinger sind gar nicht so schwer, wenn man weiß, wie’s geht.«
    Eric hielt das Rätsel hoch. »Schau mal, Anna, richtige Wörter.«
    Annabel kannte die kryptischen Rätsel der Times. Und obwohl sie Michael in keinster Weise für dumm hielt, war sie überrascht, dass er sich für so etwas interessierte. Aus irgendeinem Grund konnte sie gar nicht aufhören, ihn anzulächeln.
    »Der Trick besteht darin, die Fragen richtig zu lesen und die versteckten Hinweise zu erkennen. In den Fragen verstecken sich Definitionen und Wortspiele. Ihr wisst schon, Anagramme, verborgene Worte, doppelte Bedeutungen und so was. Und je mehr Rätsel man gelöst hat, desto leichter erkennt man die Hinweise.«
    Eric gab Michael das Rätsel zurück.
    »Gerede«, sagte George unerwartet. Er tippte mit dem Finger auf die letzte leere Zeile in Michaels Rätsel. » Wenig unterhaltsame Wanderung . Ge-Rede.«
    »Hey, das ist gut, George!« Michael trug die Lösung ein. »Machst du so was öfters?«
    »Nein«, sagte George und verzog dabei keine Miene. »Die Times- Rätsel sind mir zu einfach.«
    Der Zug machte mehrmals Station und wurde zunehmend voller. In Stanford Park stieg ein junges Paar mit Kind ein. Als sie an ihrem Abteil vorbeikamen, öffnete Michael die Tür und deutete auf die zwei freien Plätze. Damit alle sitzen konnten, nahm die Frau ihr kleines Mädchen auf den Schoß. Es schmiegte sich an seine Mutter und musterte mit großen Augen die Fremden. Michael, der ihr gegenübersaß, lächelte sie an, worauf das Mädchen verschämt den Kopf abwandte. Doch kurz darauf begann er, lustige Grimassen zu schneiden, und brachte damit das Mädchen zum Kichern.
    Annabel, die das Ganze mitverfolgte, schmolz dahin wie ein Softeis in der Sonne. Sie versuchte, sich einzureden, dass das nur an dem süßen Mädchen lag. Aber vergeblich.
    »Du kannst wirklich gut mit Kindern«, sagte die Mutter. »Du hast sicher Geschwister.«
    Michael schüttelte zögernd den Kopf, aber auf seinem Gesicht lag plötzlich so ein trauriger Ausdruck, dass Annabel sich erneut fragte, was Michael ihnen verschwieg. Denn dass er ein Geheimnis hütete, daran bestand für sie kein Zweifel.
    Das gleichmäßige Rattern des Zuges

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