Remember
Ende selbst die Spieler? Nein, zumindest das schien ihr vollkommen unmöglich. Spieler haben eine Wahl. Aber hatten sie die jemals gehabt?
Denn genau darin bestand doch das Perfide an ihrer Situation. Man hatte ihnen alles genommen und gab ihnen stückchenweise immer nur so viel, dass ein bisschen Hoffnung erhalten blieb und der Glaube, man könne sein Schicksal weiterhin selbst bestimmen. Aber hatten sie auch nur eine einzige Entscheidung getroffen, die von den Unbekannten nicht geplant gewesen war? – Ja, dachte sie, eine gab es. Doch nicht Michael, Eric oder sie hatten diese Entscheidung getroffen, sondern George. Ausgerechnet der stille, merkwürdige George.
Sie glaubte keine Sekunde mehr daran, dass man ihn im Zug oder auf dem Bahnhof geschnappt hatte. Er hatte sie freiwillig verlassen, weil er eine freie Entscheidung getroffen hatte. Er hatte einen Weg gewählt, von dem seit ihrer Flucht niemand außer ihm etwas hatte wissen wollen.
Und vielleicht ernteten sie jetzt dafür die gerechte Strafe.
Im Erdgeschoss lächelte ihnen die freundliche Bibliothekarin über einen Stapel Bücher hinweg zu. »Habt ihr alles gefunden, was ihr gesucht habt?«
Annabel nickte nur geistesabwesend. Worte wollten ihr nicht über die Lippen.
Als Michael die schwere hölzerne Eingangstür öffnen wollte, sah es aus, als hätte er Schwierigkeiten. Annabel stemmte sich mit ihm dagegen und die Tür schwang schließlich auf. Doch schon in der nächsten Sekunde wünschte sie sich, die Tür wäre für immer geschlossen geblieben.
Eine kalte Windböe blies Annabel ins Gesicht und ließ ihre Augen tränen. Ihr Blick trübte sich. Durch einen feinen Schleier sah sie eine in dicken Anorak, Kapuze und Schal gehüllte Gestalt die Treppe heraufkommen. Sie schlängelte sich an ihnen vorbei in die Bibliothek.
»Michael«, sagte Annabel mit belegter Stimme. »Was geschieht hier?«
Sie standen in der Eingangsnische und blickten auf den kleinen Park, während der Wind über ihre dünnen Kleider und ihre nackten Arme fuhr und sie schaudern ließ. Fassungslos betrachteten sie das bunte Laub auf den Bäumen, die vor dem dunklen, wolkenverhangenen Himmel leuchteten. Alle Menschen auf dem Platz waren in warme Jacken, Mäntel und festes Schuhwerk gehüllt. Niemand war sommerlich gekleidet. Niemand schien überrascht oder gar erschreckt. Niemand außer sie selbst.
Es war Herbst geworden.
Michael setzte sich auf die Treppe, stützte die Arme auf die Knie und vergrub die Finger in seinem Haar. Annabel sah, wie seine Beine anfingen zu zittern. Auch ihr entzog der kalte Wind jegliche Wärme.
»Entweder wir geraten in Panik, gehen wieder rein und schmeißen mit Büchern um uns«, sagte Michael mit dumpfer Stimme, »oder wir fahren zurück zur Anstalt und bringen es zu Ende.«
Eric hob bibbernd die Hand. »Ich für meinen Teil bin für Panik. Ja, Panik ist eine gute Wahl. Das Gefühl du jour, wenn ihr so wollt. Wer ist für Panik?«
Mit zitternden Händen versuchte Annabel, ihre Haare zu bändigen, die ihr der Wind immer wieder ins Gesicht wehte. »Wir sind schon zu weit gekommen, um einfach aufzugeben.« Ich habe schreckliche Angst. Ich will dort nicht hin. »Was auch passiert, lasst es uns zu Ende bringen.«
Denn ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.
Und so war sie die Erste, die die Stufen hinunterschritt, mit Beinen, die sich anfühlten wie Pudding. Am Fuß der Treppe drehte sie sich um und sah die beiden Jungs herausfordernd an. Ihre zitternde Stimme wollte nicht so recht zu den Worten passen. »Hey, wer von uns ist denn hier das Mädchen?«
Fünfter Teil des Interviews
FINNAGAN: »Nicholas, ich glaube, dies ist der richtige Zeitpunkt, um noch einmal auf das plötzliche Verschwinden von Nathan nach dem Tod Ihres Vater einzugehen. Verraten Sie uns, was damals passiert ist?«
HILL: »Ja, wie gesagt, anfangs hatte ich keine Ahnung, wohin Nathan verschwunden war, bis er mich zwei Wochen später mitten in der Nacht aus Kalifornien anrief. Er erzählte mir, dass ein Freund aus Berkeley ihn eingeladen hatte, seine abgelegene Blockhütte als Rückzugsort zu benutzen, und dass er einfach etwas Zeit für sich gebraucht hatte. Und im Grunde hat hier alles angefangen.«
FINNAGAN: »Das müssen Sie uns erklären.«
HILL: »Nun, der Freund ist Neurologe und arbeitete gerade an einer groß angelegten Studie. Dabei ging es um sensorische Deprivation. Einfach ausgedrückt: Er wollte mit modernsten Methoden herausfinden, wie sich das menschliche Gehirn
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